ANNO März 1933: Eine Nachlese in Österreichs Zeitungen, Teil 1

Der März 2008 bietet doppelten Anlass in die jüngere Vergangenheit Österreichs zurück zu blicken. Vor 70 Jahre wurde die Selbständigkeit Österreichs mit dem Einmarsch deutscher Truppen am 12. März 1938 beendet. Vor 75 Jahren, also bereits fünf Jahre vorher, war durch die Ausschaltung des Nationalrates die Demokratie durch eine autoritäre Regierungsform ersetzt worden.

Herrscht über die Beurteilung des Anschlusses Österreichs an Hitlerdeutschland vor 70 Jahren zwischen den beiden großen Parteien des Landes weitgehend Einigkeit, geht die Sichtweise auf die Ereignisse der Märztage im Jahr 1933 mitunter ähnlich weit auseinander, wie es bereits vor 75 Jahren der Fall war.

Austrian Newspaper Online bietet in seinen für die Jahre 1716 bis 1937 online verfügbaren Zeitungen zeitgenössische Dokumente zur Vergangenheit Österreichs, die auch für den Schulunterricht interessante und unmittelbare Einblicke in die politische und gesellschaftliche Stimmungslage der jeweiligen Zeit eröffnen. Während für das Jahr 1938 noch keine Zeitung online zur Verfügung steht, können die Ereignisse, die schließlich zur Machtübernahme durch Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß im März 1933 führten, in der österreichischen Presse online im Tagesrhythmus mit verfolgt werden. Dabei spiegeln die verschiedenen Zeitungen, je nach politischer Ausrichtung, Stimmung, Denken und Argumentationsweise der gegensätzlichen politischen Akteure in einer dramatischen Zeit wieder.

Die Geschichte der 1. Republik ist von den Folgen des Zusammenbruchs der k.u.k. Monarchie gezeichnet. Niemand glaubte, dass das Land in den Grenzen des Jahres 1918 lebensfähig sei. Viele sahen nur in einem Anschluss an Deutschland einen politischen und wirtschaftlichen Ausweg, der aber von den Siegermächten des 1. Weltkrieges scharf abgelehnt worden war. Bereits zu Beginn der Republik zeichneten sich die großen ideologischen Gegensätze zwischen den linken und rechten Parteien des Landes ab, die sich durch die Weltwirtschaftskrise zusätzlich verstärkte.


Wie sehr sich die politische Landschaft in Österreich, in den Bundesländern aber auch in den Gemeinden Anfang der 30-iger Jahre innerhalb kürzester Zeit verändert hat, zeigen die Ergebnisse der Gemeinderatswahlen in
Innsbruck. 1931 war die SPÖ mit 41,1% noch stimmenstärkeste Partei und die NSDAP mit 4,1% lediglich eine Randerscheinung.
Diagramm: Markt-Huter

 

Die Radikalisierung der politischen Landschaft gegen Ende der 20-iger Jahre des vorigen Jahrhunderts, in denen bewaffnete, den Parteien nahe stehende Wehrverbände, eine immer wichtigere Rolle einnehmen, machen das Land zunehmend unregierbar. Gleichzeitig ändert sich auch die politische Landschaft in Europa. In den 30-iger Jahren sehen immer mehr Länder in der faschistischen autoritären Regierung Mussolinis in Italien ein Vorbild.

In Österreich erstarken die Nationalsozialisten, angespornt durch die Erfolge Hitlers in Deutschland, immer mehr. Bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen im April 1933 gelingt es der NSDAP sogar 41,2% der gültigen Stimmen zu gewinnen. Bundeskanzler Engelbert Dollfuss, der von links wie rechts unter immer stärkeren politischen Druck gerät, nutzt am 4. März 1933 eine sich aus einer Krise des Nationalrates anbietende Möglichkeit, um das Parlament auszuschalten. Mit Hilfe des kriegswirtchaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus der Zeit des 1. Weltkrieges beschließt er Österreich ohne Parlament zu regieren, was den Beginn der Umwandlung Österreichs von einer Demokratie in einen Ständestaat bedeutet. 


Völlig anders zeigt sich die politsche Lage bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen zwei Jahre später. Der NSDAP in Innsbruck  gelang es vor dem Hintergrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Deutschen Reiche ihren Stimmenanteil zu verzehnfachen. Diagramm: Markt-Huter

 

Der sozialistischer Aufstand gegen den Austrofaschismus im Februar 1934 führt schließlich zum Bürgerkrieg und der Niederschlagung der Sozialdemokratie in Österreich. Mit dem Einmarsch deutscher Truppen und dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 nehmen sowohl der Ständestaat als auch Österreich als eigenständiger Staat sein Ende.

Die Parlamentskrise nahm ihren Ausgangspunkt im Oktober 1932. Dollfuß ernannte, um seine hauchdünne Mehrheit von nur einem Abgeordneten im Parlament nicht zu verlieren, den Landesführer der Wiener Heimwehr Emil Fey zum Staatssekretär für Sicherheitswesen. Dieser nutzte seine neue Stellung und verbot alle Versammlungen und Aufmärsche der Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten. Bei einer Parlamentsdebatte zu diesem Thema beschimpften einander Dollfuß und Otto Bauer sogar als "Bolschewik" bzw. "Verräter".

Am 1. März 1934 reagierten die Sozialdemokraten mit einem Eisenbahnerstreik, worauf eine dringliche Nationalsratssitzung einberufenen wurde. Bei einer Abstimmung kam es zu Unregelmäßigkeiten und eine Geschäftsordnungsdebatte führt schließlich zum Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten und zu einer Beschlussunfähigkeit des Parlaments. Durch die Wahl neuer Parlamentspräsidenten in der nächsten Parlamentssitzung hätte diese Krise des Parlaments aber einfach behoben werden können.

Ihre Informationen über die politischen Auseinandersetzungen dieser Zeit erhielten die Menschen hauptsächlich über das Medium Zeitung, aber auch das aufkommende Radio begann eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen. So veröffentlichte die Wiener Zeitung in ihrer Ausgabe vom 8. März 1933 die Verlautbarung der Österreichischen Bundesregierung "An Österreichs Volk!" und die Neue Zeitung gab am 14. März 1933 eine Radioansprache des österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß wieder.

Als Gegenposition dazu standen die im Kleinen Blatt vom 11. März 1933 veröffentlichte Rede des Sozialdemokraten Otto Bauer sowie die sozialdemokratische Reaktion auf die Radioansprache von Engelbert Dollfuß. Alle Texte geben anschaulich die Stimmungslage einer Zeit wieder, in der sich im Nachbarland Deutschland gerade die Machterergreifung der Nationalsozialisten vollzieht. Auf ihrem Weg in die Diktatur beginnen die Nationalsozialisten damit, sämtliche demokratische Einrichtungen und Strukturen auszuschalten.


7. März 1933

Bundeskanzler Engelbert Dollfuß: An Österreichs Volk!

Der Nationalrat, die gesetzgebende Versammlung der Republik Österreich, ist gelähmt und handlungsunfähig. Wie ist das gekommen? Infolge schwerer Meinungsverschiedenheiten über die Gültigkeit einer Abstimmung am Samstag, den 4. März l. J., legten alle drei Präsidenten ihre Stellen nieder. Dieser Fall ist in der Verfassung und in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen, es besteht daher zur Zeit

eine schwere Krise des Parlaments.

Die Regierung wünscht, dass das Land dauernd einer aktionsfähigen, dem allgemeinen Wohl dienenden Volksvertretung entbehrt.
Die Führung eines Staates liegt aber nicht allein bei der Gesetzgebung, sondern ebenso beim Staatsoberhaupt und der Regierung. Die vom Herrn Bundespräsidenten ernannte gesetzmäßige Regierung ist im Amte. Sie ist von Parlamentskrise, die ohne ihr Zutun heraufbeschworen wurde, nicht berührt;

es gibt daher keine Staatskrise!

 

 

Ähnlich wie Hitler mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes in Deutschland gelingt es Dollfuß in Österreich mit Hilfe des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes den Einfluss der anderen Parteien auszuschalten und unabhängig vom Parlament zu regieren. 

 

Die Bundesregierung ist stets fest entschlossen, ihre Pflichten gegenüber Volk und Heimat in jeder Hinsicht zu erfüllen. Die Bundesregierung wird mit durchgreifender Energie dafür Sorge tragen, dass Ruhe und Ordnung gegenüber jedem Störungsversuch geschützt werden; sie fordert alle Volksgenossen ebenso wie die politischen Parteien und die Zeitungen auf, die Bundesregierung zu unterstützen und warnt vor Umtrieben, die die redlichen Bemühungen Bundesregierung durchkreuzen sollen.

Um in dieser aufgeregten Zeit die Ruhe und Ordnung zu sichern, hat die Bundesregierung bis auf weiteres alle Aufmärsche und Versammlungen verboten und durch eine Verordnung auf Grund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes zum Pressegesetz die Möglichkeit geschaffen, staats- und volksschädliche Missbräuche der Pressefreiheit sowie Verstöße gegen die öffentliche Sittlichkeit zu verhindern und zu bestrafen.

Volksgenossen! Die Bundesregierung wird alle Kraft daran setzen, um in der furchtbaren Wirtschaftsnot Hilfe und Erleichterung bringen zu können. Die gleiche Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft gilt den Arbeitern und Angestellten, insbesondere denen, die ihre Arbeitsstelle verloren haben, den Beamten, die mit kargen Bezügen ihr Auslangen finden müssen, den Gewerbetreibenden, Industriellen und Kaufleuten, die bei dem Rückgang des Geschäftslebens ihre Betriebe nur mit größter Anstrengung in bessere Zeiten retten können und den Bauern im Flachlande wie im Gebirge, deren seit jeher geringe Einkünfte durch die Absperrung des Auslandes und durch Preissturz zusammengeschmolzen sind.

Wir sind ein armes, von Hunger und Not bedrohtes Volk geworden, dem es ein geringer Trost ist, dass vielen Nachbarländern der Jammer noch ärger ist. In schweren Zeiten soll man zusammenhalten. Ein Volk, das in solcher Zeit, statt wie eine gute Familie sich gegenseitig zu unterstützen, sich in Parteihader und Bürgerkrieg zerfleischt, kann sich nicht erheben, muss seine Freiheit und Selbständigkeit verlieren, ist von Knechtschaft bedroht.

Jetzt ist keine Zeit für politische Hetzereien, Intrigen und Verleumdungen, jetzt gilt es,

gemeinsame Arbeit in gemeinsamer Not zu gemeinsamem Wiederaufstieg!
Mitbürger! Die Bundesregierung führt Euch diesen Weg und wird alle Mittel der gesetzmäßigen Autorität für dieses Ziel einsetzen.

Folgt uns! Helft uns! Es gilt Österreichs braves und tüchtiges Volk aus Entbehrungen und höchsten Gefahren zu rette.

Wien, am 7. März 1933
Die Bundesregierung der Republik Österreich.


Wiener Zeitung, Mittwoch 8. März 1933, Nr. 56 S.1


Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß (links) und der stellvertretende Parteivorsitzende der SPÖ, Otto Bauer (rechts) galten im März 1933 als die beiden großen politischen Kontrahenten, die sich gegenseitig als Bolschewik bzw. Verräter beschimpften.

 

In der Wiener Tageszeitung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Das kleine Blatt wird die Ausschaltung des Parlaments heftig kritisiert. Der Bericht über das Treffen der sozialdemokratischen Parteigrößen in Wien, gibt die Rede stellvertretenden Parteivorsitzenden Otto Bauer wieder, der dazu aufruft, für Österreich als Insel der Demokratie in einem faschistischen Meer zu kämpfen.


10. März 1933

Die Rede Otto Bauers in der großen Wiener Vertrauensmännerversammlung

[...] Es war zu erwarten, dass das, was in Deutschland geschehen ist, seine Rückwirkungen auch auf Österreich haben werde, und es hat sie bereits gehabt. Was wir in Österreich in diesen Tagen sehen, ist ernst genug. Wir sehen vor allem eine Regierung, die selbstverständlich nur aus Gesetzestreue (Heiterkeit), selbstverständlich nur aus Sorge, dass, ja wie sie sagt, jede Verfassungsbeugung vermieden werde, eine Regierung also, die sich aus solchen Gründen alle Mühe gibt,

den Zusammentritt der Volksvertretung zu verhindern.

(Stürmische Pfuirufe.) Die Regierung hat es versucht, aber der Nationalrat ist trotzdem einberufen worden. Aber es ist interessant, mit welchen Mitteln man weiter versucht hat, den Zusammentritt des Nationalrates zu verhindern. Donnerstag, nachdem der Präsident Dr. Strassner den Auftrag gegeben hatte, den Nationalrat einzuberufen und die Einberufungen, die an jeden Abgeordneten adressiert waren, im geschlossenen Kuvert der Post schon übergeben haben, wurde der Versuch gemacht, die

Postbeamten zu verleiten, dass sie diese Briefe nicht zustellen

mögen (Pfuirufe.) Die Postbeamten, an die diese Zumutung gestellt wurde, sind gesetzestreue Beamte. Sie haben erklärt, dass sie nach dem Staatsgrundgesetz über das Briefgeheimnis Briefe nur auf gerichtlichen Befehl beschlagnahmen dürfen und dass sie sich von sonst niemand den Befehl zur Beschlagnahme geben lassen. (Stürmischer Beifall.) Die Briefe sind heute früh den Abgeordneten zugestellt worden. Wir sehen eine Regierung, die die Ausschaltung des Parlaments benützt, um

ohne jede Volksvertretung Gesetze zu geben,

und zwar mit Hilfe des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes, das im Krieg geschaffen worden ist, um die Versorgung des Volkes mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. Mit diesem Gesetz, das für die Kriegswirtschaft geschaffen war, ändert man nun jetzt Bestimmungen des Press- und Strafgesetzes ab! Es gibt nichts Unglaublicheres als die Bestimmungen dieser Verordnung, die die Regierung in diesen Tagen erlassen hat. Da wird die Vorzensur für missliebige Zeitungen wieder eingeführt, die Pressefreiheit geknebelt. Zur Vernichtung der Pressefreiheit kommt die

Vernichtung der Versammlungsfreiheit.

Man hat in Wien gestern die Vereinsversammlung, die wir einberufen haben, aufgelöst (Stürmische Pfuirufe.) Es existiert ein Grundsatz, dass zwar Volksversammlungen verboten werden können, aber nicht Vereinsversammlungen, die ordnungsgemäß angemeldet sind. Selbst unter den schwärzesten, reaktionärsten Regierungen der Monarchie, unter Taaffe, Windischgrätz und Badeni, wagte niemand, das Gesetz so offen und so unverhüllt zu brechen!

 


In seiner Rede auf der Vertrauensmännerversammlung sieht Otto Bauer die Sozialdemokraten als Bastion gegen den sich immer stärker ausbreitenden Faschismus in Europa.

 

So unverhüllt gegen das Vereinsgesetz zu handeln ist nur unter einer Regierung möglich, die dem Präsidenten des Nationalrates nicht erlaubt, ihn einzuberufen, weil das eine Verfassungsbeugung wäre. (Lachen.) Das sind nur die Anfänge! Aber jeder versteht, wohin so etwas führt. Uns schreckt das deutsche Beispiel, und wir haben aus den deutschen Erfahrungen etwas gelernt, und darum sagen wir - ich glaube, da bin ich mit euch allen einig:

Das, was in Deutschland geschehen ist, wird sich in Österreich nicht wiederholen.

Und deswegen werden wir, durch die deutschen Erfahrungen belehrt, schon diesen Versuchen, uns auf deutsche Bahnen zu führen, den zähesten, hartnäckigsten und entschlossensten Widerstand entgegensetzen. (Brausender Beifall.) Uns überrascht es keineswegs, dass wir in diese Gefahr geraten sind. Auf dem letzten Parteitag habe ich gesagt:

Vergessen wir nicht, wo Österreich liegt!

Im Süden von uns der blutige Faschismus in Italien, östlich von ihm die gewalttätige Militärdiktatur in Jugoslawien, weiter nördlich an unserer Ostgrenze das Ungarn der Henker, das Ungarn Horthys. Und auf der anderen Seite, an unserer Westgrenze, das Deutsche Reich, das in den Faschismus hineingleitet. Und ich habe damals gesagt: In dieser Lager rings um uns, wo wir gleichsam

umzingelt sind vom Faschismus,

wird es die große, die sehr schwere, aber desto ruhmvollere Aufgabe der österreichischen Arbeiterschaft sein, Österreich als eine Insel der Demokratie zu erhalten, als eine Insel der Freiheit mitten in diesem faschistischen Meer. (Beifall.) ...


Das kleine Blatt 11. März 1933, Nr. 70, Seite 2

 

>> ANNO März 1933: Eine Nachlese in Österreichs Zeitungen, Teil 2

 

Weiterführende Links:
ANNO: Austrian Newspaper Online

 


Andreas Markt-Huter, 19-03-2008

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