Helwig Brunner, Journal der Bilder und Einbildungen

Titelbild: Helwig Brunner, Journal der Bilder und EinbildungenBei einem Essay tauchen in dieser Reihenfolge zwei Elementarfragen auf: Wie ist das Thema formatiert? Was ist überhaupt das Thema?

Helwig Brunner hält sich vage an den Ablauf eines Journals, seine Eindrücke und Analysen ordnet er vor allem Farbereignissen zu, die ihn seit Kindheit begleiten. Schneefarben, Schönbrunngelb mit Wellblech, Grüntöne. Mit dieser Methode kommt er zu kleinen Seh-Ventilen, die offenbar unter Druck stehen. Während des Betrachtens lässt er diesen Druck ab und schon ist ein Mini-Essay geboren, der oft völliges Neuland betreten hat.

Jeder kennt diese Lichtschlitze unter einer verschlossenen Tür, den schräg einfallenden Lichtstrahl, in welchem sich Staub und Worte tummeln, eine Grünfläche mit so vielen Grüntönen, dass man mit dem Seh-Fressen nicht nachkommt.

Und hier kommt die Frage nach dem Thema ins Spiel. Der Autor versammelt seine Farbspiele um Schlüsselbegriffe wie Schneefarben, Sehschwächen, Kinderzimmer oder Körperwärme.

Ein Kapitel heißt Aprikosen und stellt die These auf, dass man das Unsagbare vielleicht über den Gesamteindruck einer Frucht sagen könnte:

Ich aprikose dich! (87)

Einen Schwerpunkt setzen Überlegungen zum Denken selbst. Auf einer Autofahrt denkt das Ich absolut nichts, weil so auf das Fahren konzentriert ist, was aber hätte das Ich gedacht, wenn es seine Kraft nicht ans Autofahren vergeudet hätte? Was wäre ein brauchbarer Gedanke? (78)

Oft hängen diese Gedankenketten mit dem Lesen zusammen und führen an einen Ort, der wie angewandtes Lesen ausschaut. Auf Anita Pichler geht beispielsweise eine Arbeitswohnung in Venedig zurück. Einen solchen Werks-Aufenthalt erliest sich das Ich, um dann in Venedig selbst unter Druck zu stehen, der Anita Pichler halbwegs gerecht zu werden.

Das letzte Kapitel vor dem Abspann beschäftigt sich dann ausführlich mit dem Lesen und Schreiben von Journalen. An zehn Beispielen wird versucht, das jeweils Unverwechselbare der „Journal-Fiktionalisten“ Martin Walser, Peter Handke oder Paul Nizon herauszuarbeiten. Dabei wird auch das Scheitern angesprochen, wenn eine Methode einfach nicht funktioniert. Journale haben es aber so an sich, dass sie unsterblich gute Sätze ausspucken. Martin Walser etwa:

Wenn etwas nicht mehr ist, hört es nicht auf, gewesen zu sein! (66)

Helwig Brunners Journal-Technik ist durchaus einmalig und brauchbar, dem Leser wird die Belohnung zuteil, dass es einfach in einen anderen (Farb-)Zustand abgeht, wenn man sich regelmäßig mit Journalen auseinandersetzt und selber eines führt. Der Blick geht auf, und sei es nur, um völlig Unbekanntes als Unbekanntes wahrzunehmen.

Ein mir unbekannter Mensch fährt in einem Auto eines mir unbekannten Fabrikates eine Zeitlang neben dem Zug her, um dann plötzlich abzubiegen, auf ein mir unbekanntes Ziel zusteuernd. (84)

Helwig Brunner, Journal der Bilder und Einbildungen
Graz: Droschl Verlag 2017, 154 Seiten, (= Essay 68), 18,00 €, ISBN 978-3-85420-985-0


Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Helwig Brunner, Journal der Bilder und Einbildungen
Wikipedia: Helwig Brunner

 

Helmuth Schönauer, 17-02-2017

Bibliographie

AutorIn

Helwig Brunner

Buchtitel

Journal der Bilder und Einbildungen

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Droschl Verlag

Reihe

Essay 68

Seitenzahl

154

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-85420-985-0

Kurzbiographie AutorIn

Helwig Brunner, geb. 1967 in Istanbul, lebt in Graz.