Hermann Strasser, Die Erschaffung meiner Welt
Wir wissen mehr über Arnold Schwarzenegger als über unsere Eltern. (11)
Diese Unwucht des Wissens treibt den Soziologen Hermann Strasser ein Leben lang um, und so lässt ihm das eigene Leben keine Ruhe, bis er nicht die Erschaffung seiner Welt als zeitgenössischen Schöpfungsbericht aufgeschrieben hat. Dabei verwendet er als Wissenschaftler so gut wie alle Medien, als Mensch der Buchkultur freilich kann die Autobiographie nur authentisch sein, wenn sie auch als Buch erscheint. Und was das für ein Buch ist! Obwohl es als sogenanntes Book on demand erst die Hürde der Lektorats-Relevanz nehmen muss, ist es ein Kulturgut, in dem es nach amerikanischer Art gedruckt angenehm in der Hand und vor dem Auge liegt.
Schon die Titelsuche gerät zu einem Abenteuer, indem der Autor alle möglichen Autobiographien heranzieht, um seine eigene ordnungsgemäß davon als Unikat abzugrenzen. Und eine Gebrauchsanweisung wird auch noch mitgeliefert. Das Buch ist so gestaltet, dass man persönliche Nebenerzählungen im ersten Durchlauf weglassen kann, um das soziologische „Handwerksbuch“ im Überblick abzuscannen.
Das verbindet nämlich durchgehend Sitzküche und Lehrstuhl, im persönliche Fall tut sich die Allgemeingeschichte auf und zeigt, was unten beim Endverbraucher herauskommt, wenn oben an historischen Rädchen gedreht wird. Hermann Strasser ist wie der späte Carl Djerassi ein Anhänger der narrativen Wissenschaft. Nur was sich erzählen lässt, berührt den Menschen so, dass er sich dabei auf Daten und Fakten einlässt.
Die Erschaffung meiner Welt berichtet von der elterlichen Sitzküche der Bahnhofsgastwirtschaft in Altenmarkt, wo die Ortschronik jeden Tag neu erzählt worden ist. Aus diesem Ambiente scheint auch die Faustregel zu stammen: Erst durch Erzählen wird aus dem Zeitgenossen ein Zeitzeuge.
Mit diesen neugierigen Sinnen ausgestattet ist es fast logisch, dass der Autor sich der Bildung unter dem Aspekt der Volkswirtschaft verschreibt. In Innsbruck trifft er unter anderem auf Alexander Van der Bellen und Clemens August Andreae. Den Leser beschäftigt freilich die Tatsache, dass er eine Strafe für Radfahren ohne Licht tatsächlich auf der Polizei aussitzt. Das sind die Feinheiten Innsbrucks, die oft mehr Spuren hinterlassen als ein Studium. Nach diversen Projekten unter anderem in New York und Berlin und seiner Habilitation in Klagenfurt landet Hermann Strasser schließlich in Duisburg, wo er vor allem mit seiner Schreibwerkstatt für Biographien Furore macht.
Die Erschaffung meiner Welt zeigt ein reichhaltiges Leben, das deshalb form- und formulierbar wird, weil sein Autor ständig darüber gelesen hat, wie andere ihr Leben hinkriegen. Und so ist diese Autobiographie bemerkenswert, weil sie eine Erzählform vorstellt, worin die Angesprochenen gleich als Mithelden ins Buch dürfen. Der Autor selbst wird dabei zu einem Vermessungspunkt, auf den sich die Zeitgeschichte verlassen kann, wenn sie erzählt wird. Nicht die Struktur, die Auffassung von Gesellschaft ändert sich. (380) – Die Zeitgeschichte wird dabei so bescheiden selbstbewusst erzählt, dass sich jeder angesprochen fühlt.
Hermann Strasser, Die Erschaffung meiner Welt. Von der Sitzküche auf den Lehrstuhl, Autobiographie, Abbildungen
Ratingen: Eigenverlag 2016, 632 Seiten, 19,99 €, ISBN 978-1500630256
Weiterführender Link:
Amazon: Hermann Strasser, Die Erschaffung meiner Welt
Helmuth Schönauer, 22-01-2017