Thomas Ballhausen, Mit verstellter Stimme

thomas ballhausen, mit verstellter stimmeWenn in der Lyrik ein Titel scheinbar klar ist, ist Vorsicht geboten, diese Klarheit ist bloß ein erster Schutzschild, mit dem sich die Poesie gegen zu schnelle Vereinnahmung durch die Leser wehrt.

Thomas Ballhausen bietet seine Lyrik „mit verstellter Stimme“ an, aber schon im Untertitel warnt er, dass es sich dabei um halb kriminelles, verschollenes und mystisch-forensisches Material handeln könnte. So lassen sich die Gedichte auch aus verschiedenen Blickwinkeln lesen, mal als Protokoll zu einem Naturereignis, als Mitschrift einer psychiatrischen Behandlung oder als verschlüsselte Tagbuchnotizen eines lyrischen Ichs.

Schon beim ersten Durchblättern fällt auf, dass die Gedichte eigentlich wie Bilder gehängt sind, in Augenhöhe tropfen meist zehn, fünfzehn Zeilen aus der Headline, es gibt keine Titel oder Anfangshervorhebungen, dafür stechen oft einzelne Wörter in Kapitalschrift ins Auge.

ZUM GEBET (19) / GESUND (27) / ZÄHNE (36) / JENSEITS (42) / ÜBEL (48) /LIED (64).
Die gesamte Komposition endet in diesem hervorgehobenen LIED mit der lapidaren Erklärung, da ist Blut an meinen Händen, das Ende vom Lied. (64)

Das lyrische Ich wird ständig mit zweideutigen Situationen konfrontiert, die Gefahr bedeuten können, einen heimlichen Angriff von hinten oder bloße Naturschönheit von vorne. Knirschen ist so ein Begriff, der schönen Schnee unter den Füßen bedeuten kann, aber auch die Vorbereitung für einen schrillen Schrei, wenn das Eis nach dem Knirschen bricht.

Und trotz dieser Mehrdeutigkeiten lassen sich viele Gedichte als eindeutige Geschichte erzählen, deren Plot freilich bei jedem Nacherzählen anders ausfällt.

sie an ihrem Span / ihren zarten, stummen / Kniekehlen / erkennen; / das wächserne Tuch zurückschlagen / von der geschundenen Nacktheit / augenblicklich: gequält sein / trotz schmerzendem Blick / zwanghaft Wunden betasten / einen Hauch von Kupfer schmecken / die Nähte entlangtasten / wie um sich / zu: versichern (63).

Daraus lässt sich eine Kriminalgeschichte ableiten, das Herantasten des Liebhabers an einen erotischen Körper, die pathologische Vermessung eines Leichnams, der Fund einer archäologischen Sensation.

Das ist überhaupt die große Kunst des Thomas Ballhausen, dass er aus scheinbar gewöhnlichen Situationen psychologisch schwer aufgeladene Arrangements schafft. Diese Helden zerbrechen meist unter der Anforderung der Banalität und geben auf, noch ehe ein Wendepunkt erreicht ist. In seinen Geschichten verrecken die Protagonisten auf offener Strecke, heißt es über die „Unversöhnten“ (2007), worin der schöne Satz fällt: Die beste Lösung ist die Auflösung.

Mit verstellter Stimme werden lyrische Situationen nachgeahmt und oft noch mitten im Gedicht in ihre Einzelteile zerlegt. Geträumte Hexen werden am Morgen als Krankheitsbild versenkt, das Gewicht der Welt muss jeden Tag aus einem Zettelhaufen neu berechnet werden, in einer Schmerzfabrik wird solange hand- und wertgeschöpft, bis die Protagonisten wieder gesund sind. Überraschungen, Stimmungen, Spannungen wechseln oft mitten in einer Zeile. Als Leser hat man ganz schön zu tun, diesen wundersamen Haken zu folgen, die die Gedichte schlagen.

Thomas Ballhausen, Mit verstellter Stimme. Ein poem murder mystery aus frühen Tagen
Horn: Berger Verlag 2017 (= Neue Lyrik aus Österreich. Band 17), 64 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-85028-766-1


Weiterführende Links:
Berger Verlag: Thomas Ballhausen, Mit verstellter Stimme
Wikipedia: Thomas Ballhausen

 

Helmuth Schönauer, 07-03-2017

Bibliographie

AutorIn

Thomas Ballhausen

Buchtitel

Mit verstellter Stimme. Ein poem murder mystery aus frühen Tagen

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Berger Verlag

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich. Band 17

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-766-1

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Ballhausen, geb. 1975 in Wien, lebt in Wien.

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