Natalka Sniadanko, Sammlung der Leidenschaften

sniadanko_leidenschaft.jpgLeidenschaften sind meist zeitlich begrenzte Gefühlsaufwallungen, die jenseits der Logik einer Person oder einem Thema umgehängt werden.

Natalka Sniadanko stellt eine Sammlung dieser Leidenschaften vor, die über die Ich-Erzählerin Oljessa im Laufe des Lebens hereinbrechen. Nicht immer nämlich sucht die Protagonistin diese Leidenschaften auf, manchmal wird sie von diesen auch heimgesucht. Während der Ausbildung zu einem „galizischen“ Lebensgefühl muss die Heldin gut acht Leidenschaftsbündel über sich ergehen lassen. Dieses heftige Reißen an der Psyche setzt in der Kindheit ein, erstreckt sich über ein philologisches Ukraine-Studium und führt nach Deutschland, wo je nach Konstitution der Männer deutsche, italienische oder aristokratische Leidenschaften ausbrechen.

Eine Ruhe ist erst, als Oljessa mit dem gescheiterten Mini-Aristokraten Hermann von Freiburg aus wieder in die Ukraine zurückkehrt. Anstatt einer Hochzeit macht sie sich wieder selbständig und schaut, dass der arme Hermann seine Freundin aus Deutschland nachkommen lässt, für ein bescheidenes Leben wird es auch in der Ukraine reichen.

In einem Katalog der Gefühle wird dann auch eine Art Regelwerk entworfen, wie man eine echte Galizianerin wird, sie erkennt, fördert und umkost. Mit diesem Leidenschaftsknigge in der Hand lässt sich das ewige Missverständnis zwischen deutschen Männern und ukrainischen Frauen etwas aufhellen. Im Epilog steht dann auch der Hauptauftrag: Sinn der Galizianerin ist es, Leidenschaften hervorzurufen statt zu empfinden. (243)

In diese schräge Biographie sind wie in einem Bildungsroman immer wieder gute Leitbilder eingestreut und sei es auch nur als kleine Tipps.

Der gute Mathematiker beginnt alle seine Operationen mit dem Einmaleins! (35)

Ein Psycho-Ratgeber in einer Pubertätszeitschrift gibt auch beste Ratschläge für den Sex. Wenn es beim ersten Mal nicht klappt, soll man ruhig mit dem Schraubenzieher nachhelfen, heißt es da. Als es Oljessa unbedingt hinkriegen will, bucht sie einen Dozenten mit verwaschenen Hosen für den Probesex. Dieser allerdings bricht bei diesem Massaker mit dem Schraubenzieher zusammen, was nicht der Sinn der Sache ist, zumal nichts davon im Sexführer steht. (104)

Die Erzählmethode, Leidenschaften in den Vordergrund zu stellen, lässt die Sachen oft entgleisen, die Übertreibung ist die logische Partnerin spontan erweckter Gefühle, unlogische Zusammenhänge lassen sich sensitiv auf die Reihe kriegen, und zwischen allem träufelt dann ein sogenanntes Ukrainisches Kulturgut hervor, das in einem philologischen Gefäß aufgefangen wird. Natalko Sniadanko erzählt frech, ungeniert und augenzwinkernd und gibt dadurch Antworten auf Fragen, die sonst nicht einmal in einem Pubertätsmagazin beantwortet werden könnten. - Aufschlussreich und allgemeinbildend!
 
Natalka Sniadanko, Sammlung der Leidenschaften. Roman, a. d. Ukrain. von Anja Lutter [Orig.: Колекція пристрастей Lviv 2001]
Innsbruck: Haymon Verlag 2017, 252 Seiten, 15,90 €, ISBN 978-3-7099-7250-2


Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Natalka Sniadanko, Sammlung der Leidenschaften
Wikipedia: Natalka Sniadanko

 

Helmuth Schönauer, 26-02-2016

Bibliographie

AutorIn

Natalka Sniadanko

Buchtitel

Sammlung der Leidenschaften

Originaltitel

Колекція пристрастей

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Haymon Verlag

Übersetzung

Anja Lutter

Seitenzahl

252

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-3-7099-7250-2

Kurzbiographie AutorIn

Natalka Sniadanko, geb. 1973 in Lviv, lebt nach Jahren in Freiburg/Br. wieder in Lviv.