Rachel Cusk, Transit

rachel cusk, transitDie Meisterinnen des Erzählens lassen die Geschichten an sich herankommen, seitlich vorbei streichen und wieder verschwinden. Währenddessen entwickelt sich das Thema, zum Beispiel Transit.

Rachel Cusk platziert in ihren Romanen meist eine Ich-erzählende Heldin, durch welche die anströmenden Rauchgase abziehen wie durch einen Schlot. Im vorausgeschriebenen Roman „Outline“ (2014) stellt sich die Heldin als Medium zur Verfügung, an das allerhand Geschichten und Begebenheiten herangetragen werden in der Hoffnung, dass eine starke Abprall-Heldin den Wellen die Kraft brechen könnte.

Im Roman „Transit“ hat die Erzählerin gerade ihre Scheidung hinter sich gebracht und ist mit den Kindern von Kanada ins Vorland von London übersiedelt. Es ist nur jene Erzählfläche ausgemacht, die als Baustelle dient, alles andere sind vorbeifließende Begebenheiten, welche einen Transit-artigen Zustand vermitteln. Nichts ist fix oder abgeschlossen, die vorausgegangenen Entscheidungen sind noch nicht in ihren Auswirkungen erkennbar, aber es ist klar, dass das hier nicht die Zukunft sein wird.

In neun Episoden treten Makler, Baumeister, Nachbarn, Scheidungsfragmente der Umgebung oder literarische Stipendiaten auf, fangen ein wohlwollendes Gespräch an und erzählen dabei den eigenen Semmel, der sie gerade bedrückt. Die Heldin fungiert dabei wie eine Markierungs-Boje, die zeigt, dass man hier Gespräche ablassen kann. Die Vorgänger-Familie zieht aus und geht nach Ghana zurück, ein Arbeiter, der für die Drecksarbeit zuständig ist, gilt als verrückter Albaner und heißt sinnigerweise Kaput. (146)

In Nebensätzen rutscht manchmal eine Empfindung hervor wie bei schlechtsitzender Unterwäsche:

Einsamkeit ist, wenn nichts haften bleibt. (133)

Die Gespräche laufen meist auf einen Befreiungsschlag hinaus. Was die Freunde und Bekannten so scheinbar zufällig zusammengetragen haben, bedarf noch an Ort und Stelle einer Klärung, sonst lässt sich nichts verändern.

Ich fragte, ob sie das Unwirklichkeitsgefühl inzwischen losgeworden sei, und warum es sich ihrer Ansicht nach überhaupt eingestellt habe. (209)

Es ist, als ob in dieser Transitzone überall imaginäre Couchs aufgestellt wären, worauf die Figuren hemmungslos psychiatrischen Dampf ablassen. Dabei entsteht eine handfeste Bewusstseinszone, worin sich astrologische Konstellationen genauso auswirken wie pure Übersiedlungshandgriffe für ein neues Leben.

Der heutige Tag, hatte mir die Astrologin geschrieben, sei für den anstehenden Transit von besonderer Bedeutung. (165)

Für das Publikum ist vor allem die Cusk'sche Erzählweise von Bedeutung. Hier entsteht aus einem herumflutschenden Erzählstrom plötzlich eine Geschichte mit Hand und Fuß. Man könnte dies Erzählweise mit dem Aufwischen von nassen Böden vergleichen, zuerst rinnt alles herum, dann wischt die Heldin alles zusammen und wringt den Erzählfetzen über dem Romanbottich aus. - Meditativ und reinigend zugleich.

Rachel Cusk, Transit. Roman, a. d. Engl. von Eva Bonné [Orig.: Transit, London 2016]
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017, 237 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-518-42807-6


Weiterführende Links:
Suhrkamp Verlag: Rachel Cusk, Transit
Wikipedia: Rachel Cusk

 

Helmuth Schönauer, 14-04-2017

Bibliographie

AutorIn

Rachel Cusk

Buchtitel

Transit

Originaltitel

Transit

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Suhrkamp Verlag

Übersetzung

Eva Bonné

Seitenzahl

237

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-518-42807-6

Kurzbiographie AutorIn

Rachel Cusk, geb. 1967 in Kanada, lebt England.