Wolfgang Hermann, Das japanische Fährtenbuch

wolfgang hermann, das japanische FährtenbuchVon Kindheit an sind Leser Fährtensucher und Fährtenleser, Abenteuer sind nur zu bestehen, wenn man Spuren lesen kann. Und auch später gehen die Leser immer noch Fährten nach, um sich im Erlebnisdschungel der Welt jenseits aller Digitalisierung mit den eigenen Sinnesorganen zurechtzufinden.

Wolfgang Hermann bringt den Zustand des Schriftsteller-Seins mit Energie, Durchhaltevermögen, Sturheit, aber auch Beschränktheit, Blindheit, Verbissenheit in Verbindung. (85) Vollends gefordert ist er, wenn er sich durch eine fremde Kultur schlängeln muss, auf Wegen, die noch gar nicht existieren.

Die äußere Struktur des japanischen Fährtenbuchs ist ein Reisenotizbuch zu einem Japan-Aufenthalt. Bereits bei der Einreise tritt die Bürokratie auf, an ihr kann man das erste Mal beobachten, wie das Land später ticken wird. Im Falle des Ich-Erzählers ist die Einreiseerlaubnis abgelaufen und er fällt auf den Status jener acht Bangladeshi zurück, die ebenfalls an der Einreise gehindert werden. Aber der Erzähler hat eine Arbeitserlaubnis und darf nach Stunden des züchtigen Wartens einreisen.

In der Folge zeigt sich das Land an der Oberfläche unauffällig, sobald man diesen Zustand aber zu beschreiben versucht, treten die tieferliegenden Wesenszüge japanischen Seins zutage. Die Menschen erinnern an Skulpturen, die geordnet angehäuft und aufgestellt sind, Verbeugungen sind das Ergebnis einer komplizierten Dramaturgie, über den Sommer werden selbst alte Meister noch älter.

In Tokyo gibt es keine Hunde, weil diese wegen der vielen Erdbeben wahnsinnig würden. So eine Bemerkung zeigt einen harmlosen Fakt, der aber mit Philosophie unterlegt ist. Ein Mann spielt in einem Käfig auf dem gegenüberliegenden Dach Golf gegen sich selbst. Der Abschlag ist überaus hart, aber was steckt dahinter?

In einer windstillen Ecke des Fährtenbuches werden die Lektüren der Schriftsteller-Meister Yasunari Kawabata und Yashushi Inoue vorgestellt, aus ihren Erzählungen schälen sich ferne Kindheiten, ein Dorfleben ohne Außenwelt, eine Liebe, die ewig stillsitzt.

Dieser Welt ist eine brachiale Westerkenntnis von Aldous Huxley gegenübergestellt:

Der entscheidende Fehler der Romane ist, dass sie zu viel Sinn ergeben. Das Leben ergibt niemals Sinn. (33)

Blicke durch ein Fensterglas, Lautsprecherwagen mit chinesischer Musik, eine Warte-Bank für Sushi, Mädchen aus Porzellan, Striptease – Japan ist das Land, wo Dinge schweben. (51)
Das Fährtenbuch findet Wege in die fernsten Ecken, in die kleinsten Höhlen, auf die flachsten Hügel hinauf. Vielleicht ist dieser Erzählweg magnetisch, und alle Nichtmetalle fliegen ihm zu. – Eine Kleinod-thek!

In seinem Nachwort drückt Reinhard Kaiser-Mühlecker höchstes Leseglück aus, indem er die Wörter Stadtbibliothek, Erdgeschoßwohnung und verregneter Sommer verwendet. Aus der sich daraus ergebenden Szenerie führt eine Fährte zu Wolfgang Hermann.

Wolfgang Hermann, Das japanische Fährtenbuch. Mit einem Nachwort von Reinhard Kaiser-Mühlecker [EA: Franz-Michael-Felder-Verein, 2003]
Innsbruck: Limbus Verlag 2017 (= Preziosen), 94 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-99039-107-75


Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Wolfgang Hermann, Das japanische Fährtenbuch
Wikipedia: Wolfgang Hermann

 

Helmuth Schönauer, 27-05-2017

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Hermann

Buchtitel

Das japanische Fährtenbuch

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

94

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-99039-107-75

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Hermann, geb. 1961 in Bregenz, lebt in Dornbirn und Wien.