Johannes J. Voskuil, Das Büro 5. Und auch Wehmütigkeit

johannes voskuil, Das Büro 5Ein gigantisches Romanwerk im Ausmaß von über fünftausend Seiten fordert vor allem den Autor, der alles unternehmen muss, um nicht während des Romans zu versterben. Und Unsterblichkeit ist auch vom Übersetzer verlangt, dass er nicht aufgibt. Ein Gigawerk fordert Verlagswesen und Buchhändler heraus und schließlich die Leserschaft. Ein Wahnsinnswerk bringt überhaupt alle an ihre Grenzen.

Johannes J. Voskuil erzählt im „Büro“ die Geschichte der Niederlande zwischen 1957 und den beginnenden 1990er Jahren. Archiv, Forschungsstätte und Weltraumbahnhof der Fiktionen ist dabei ein Volkskundeinstitut, das alles von Sprache, über Gartenzwerge bis hin zu Musik und Lagerfeuern erforscht. Ziel ist es, von der Peripherie her und vom flachen Land aus in die Zentren großer Gedankenentwürfe vorzudringen.

Der Band 5 spielt in den Jahren 1979 bis 1982, darin ist ein leichter Ruck der Karrierekurven zu bemerken. Die große Aufbruchsstimmung geht endgültig in den Schwebeflug über, das Institut muss sich selbst evaluieren und erstmals einsparen. Dabei stellt sich heraus, dass in einem guten Büro um die Arbeitsplätze herum Arbeit geschaffen wird und nicht umgekehrt.

Plötzlich muss man Menschen befördern, für die man keine Beförderungsressourcen mehr hat, die Ausbildung entspricht oft nicht den Notwendigkeiten der Projekte, die Reduktion des Betriebs bewirkt bei den Mitarbeitern Abgrenzung und Ängste, wiewohl es geradezu wie geschmiert im Büro läuft.

Der Held Maarten ist seinerzeit 1957 am Institut vorbeigegangen, hat easy angeheuert und ist jetzt schon ein Vierteljahrhundert in der Volksforschungsanstalt. Wie am ersten Tag läuft er in der Mittagspause an die Amstel und wird leicht depressiv. Am Rückweg sieht er im Schaufenster sein Buch liegen, das er über die Wände in Bauernhäusern geschrieben hat. Er fühlt sich kalt und fremd gegenüber dem eigenen Werk. Am Abend sitzt er wieder stumm bei seiner Frau Nicolien, die ihn herausfordert und wissen will, was ihn so bedrückt. Er beginnt unvermittelt zu weinen. „Ich habe so ein Scheißleben.“ (77) Bald darauf beginnt das Jahr 1980.

Als Leser wird man die drei Schichten, die über jeder Seite liegen, nie los und von einer in die andere gezogen. Einmal geht es auf der innigen Ebene um den Lebenslauf des Helden. Das kann ganz schön unter die Haut gehen, du bist jeden Tag busy und eines Tages bist alt und von der Zeit formatiert.

Auf der mittleren Ebene entwickelt sich das Büro zu einem Mikrokosmos der Gesellschaft. Je nach Tagesverfassung benehmen sich die Protagonisten wie im Kindergarten oder in der Seniorenstube, die wenigsten kriegen ein reifes Büroverhalten hin.

Auf der äußeren Ebene können wir beobachten, wie die Zeitgeschichte ausfranst zu Mini-Themen und sich an den Rand der Wahrnehmung verflüchtigt.

Alle drei Stränge haben die ungute Eigenschaft, dass sie immer enger werden und sich um den Hals legen. Diesen Zustand beschreibt wahrscheinlich die Wehmütigkeit am besten, die im Original noch so etwas wie Müdigkeit mitschwingen lässt.
Maartens Frau Nicolien:

„Wie fühlst du dich?“ Er: „Normal – elend!“ (374)

Johannes J. Voskuil, Das Büro 5. Und auch Wehmütigkeit, Roman, a. d. Niederl. von Gerd Busse [Orig.: Het bureau 5; Het En ook weemoedigheid, Amsterdam 1999]
Berlin: Verbrecher Verlag 2016, 990 Seiten, 32,90 €, ISBN 978-3-95732-010-0

 

Weiterführende Links:
Verbrecher Verlag: Johannes J. Voskuil, Das Büro 5
Wikipedia: J. J. Voskuil

 

Helmuth Schönauer, 13-07-2017

Bibliographie

AutorIn

Johannes J. Voskuil

Buchtitel

Das Büro 5. Und auch Wehmütigkeit

Originaltitel

Het bureau 5; Het En ook weemoedigheid

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Verbrecher Verlag

Reihe

Das Büro, Bd. 5

Übersetzung

Gerd Busse

Seitenzahl

990

Preis in EUR

32,90

ISBN

978-3-95732-010-0

Kurzbiographie AutorIn

Johannes J. Voskuil, geb. 1926, schied am Tag der Arbeit 2008 freiwillig aus dem Leben.