Kat Kaufmann, Die Nacht ist laut, der Tag ist finster

Gigantische Begriffe wie laut und finster lassen sich nur schwer beschreiben, denn jede einzeln beschriebene Teilmenge daraus dämpft ja die Lautstärke oder die Finsternis.

In Kat Kaufmanns Roman geht es chaotisch zu. Als Leser hat man beide Hände voll zu tun, den Text im Zaum und auf dem Display oder Papier zu halten, die Sätze sind flüchtig und hauen sofort in die Lese-Umgebung ab, wenn man eine Seite aufschlägt.

Allmählich pumpt man Löschschaum in den Text, um wenigstens aus den Textruinen die Geschichte oder einen Hauch der Geschehnisse zu dechiffrieren. In den neun Kapiteln tut sich allmählich der Held Jonas hervor, der irgendwo in Deutschland groß geworden ist und von seinem sterbenden Großvater den Auftrag gekriegt hat, einen gewissen Valerij Butzukin zu suchen. Wie bei allen geheimnisvollen Missionen darf man nicht nachfragen, was sie für einen Sinn hat, auch beim Butzukin ist vermutlich nichts gewonnen, wenn er gefunden ist.

Jonas läuft zuerst ein paar Kapitel lang als Diffusum konsistenzlos durch Lärm und Finsternis, ehe dann seine Wohnung konkret abgebrannt ist und er voll auf sich alleine gestellt seine Mission antreten kann.

Zusammen mit ein paar Kommilitonen flieht der Trupp auf einen Flughafen, hinter dem Moskau liegen könnte. Aber hinter dem Flughafen ist nichts Fixes mehr, entweder hat ein Krieg stattgefunden und Stadt und Land zu einer Brache gemacht, oder Außerirdische oder Unterweltler haben das Kommando übernommen. Jedenfalls ist keine gesellschaftliche Struktur mehr zu erkennen, sie Situation entspricht vielleicht dem Inneren eines Schwarzen Blocks, der gerade ein Stadtviertel zerlegt hat.

Manchmal taut etwas aus einer fernen Erinnerung auf, die ein Licht aus der Kindheit oder eine verschollene Vokabel sein können, es sind kleine Wortverschiebungen, die den Lauf der Zeit beschreiben. So hat man früher Eilmeldung gesagt statt Breaking News, und auch die Body-Milk hat man sich noch als Körperlotion auf die Haut geschmiert.

Es muss auch so etwas wie Erziehung stattgefunden haben, denn zwischendurch gerät der Held in einen Bildungstraum.

Die Bibliothek ist groß und leer und du stellst dir vor, sie sei dein Palast und du der Bücherkönig. (115)

Unter dem Roman-Text laufen tatsächlich immer wieder Breaking-News-Bänder durch die Seiten und berichten von diversen Topics aus allen Lagen der Welt. In Anläufen von innerem Monolog, Besinnung oder Familienchronik werden diversen Ereignissen Jahreszahlen zugeordnet, so wissen wir, dass im Jahre 2010 Jonas achtzehn ist. Manche dieser spröd gedruckten Passagen führen in den November 2017, wo diese Zeilen vermutlich in Echtzeit auf die Masse der Leserschaft treffen werden, wenn das Buch im Sommer ausgeliefert ist.

Zwar wird der gesuchte Butzukin noch gefunden, aber er hat für nichts mehr eine Sprache. Jonas bleibt in einem Zwischenreich aus russischen und deutschen Geschichts-Ausrissen. Im letzten Kapitel werden dann auch schon die Angriffe geflogen, auf die sich die Piloten lange vorbereitet haben. Dia Apokalypse kann beginnen.

Kat Kaufmann, Die Nacht ist laut, der Tag ist finster. Roman
Hamburg: Tempo Verlag 2017, 270 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-455-00105-1

Weiterführende Links:
Tempo Verlag: Kat Kaufmann, Die Nacht ist laut, der Tag ist finster
Wikipedia: Kat Kaufmann

Helmuth Schönauer, 08-07-2017