Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, Briefe ohne Nadeln

beaumarchais_briefe ohne nadelnDie erotische Freizügigkeit wird oft als linearer Vorgang missverstanden, wonach die Gesellschaften jedes Jahr frecher werden müssten. In Wirklichkeit ist die Gegenwart oft ganz schön verklemmt, wenn man sie an wilden Epochen misst.

Eine Gesellschaft voller haptischer und genitaler Üppigkeit breitet sich in den höheren Kreisen des Ancien Régimes am Vorabend der Französischen Revolution aus. Unter anderem werkelt ein gewisser Beaumarchais als Erfinder, Schriftsteller und Lobbyist am Hof. Er ist der „Vater des Figaro“ und wird als solcher unsterblich in die Literaturgeschichte eingehen.

Mehrfach verheiratet, ständig unterwegs, immer in der Öffentlichkeit herumhechelnd, führt Beaumarchais zwischen 1777 und 1779 einen Briefverkehr mit der Geliebten Godeville ab, davon sind seine 106 Briefe erhalten und jetzt das erste Mal pfiffig ins Deutsche übersetzt.

Man sollte unbedingt zuerst Kommentar und Nachwort von Sylvia Tschörner lesen, ehe man an die Briefe selbst geht. Dadurch lässt sich dieser witzige, zynische und öffentliche Liebeston, der oft knapp ans Sexistische geht, erst richtig einschätzen.

Diese künstliche Geliebte wird ungeniert angebaggert, sie ist ja auch umgekehrt kein Kind von Traurigkeit und pflegt ihre Lover zu erpressen, wenn sonst keine Kohle mehr herausspringt. Beaumarchais scheint die Madame als Aufstiegshilfe in die Gesellschaft gut zu nützen, er schreibt seine Briefe halböffentlich, jede intime Bemerkung ist auch ein öffentlicher Kurzessay über Eros und Gier in höheren Kreisen.

Beaumarchais schreibt seine Briefe meist mitten aus dem Geschäft heraus, während er Anweisungen gibt und Kundenverkehr pflegt. Irgendwie gleicht er einem höheren Beamten, der eine Pornoseite offen hat und daneben die Aktenlage durchforstet. Zwischendurch geht er auf die Briefe der Madame ein und dreht das Gspusi jeweils in ein neues Licht. Denn von Anfang an ist die Richtung des Verhältnisses klar, die Madame soll eine Geliebte bleiben und ihre Lüste nicht als empfindsame Mutter verschleudern.

Ich küsse dich, bis die Lippen bluten usw. usw. usw. (31)

Solche Sätze muss man sich unter Pomade, Perücken und dem ganzen Rokoko-Glanz vorstellen. Daneben berichtet Beaumarchais ausführlich, welcher Nachbar sich wieder welchen Tripper von welcher Madame geholt hat. Und dann plagt ihn das Kreuz, egal ob vom Bücken oder Kriechen, fast jeden Tag nämlich ist er in einem Hintern in Versailles zu Gast.

Als reifer Leser liest man diese Erotik mit bestem Vergnügen, denn da hat einer den richtigen Ton zwischen Abgebrühtheit, Geilheit und schweinischer Verschwiegenheit gefunden.

Die Briefe ohne Nadeln sind eine Anspielung auf diesen Sound. Früher wurden Kleidungsstücke mit Nadeln an die begehrten Körper gehaftet, Briefe ohne Nadeln haben also auch etwas mit Striptease und Hüllen fallen lassen zu tun.

Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, Briefe ohne Nadeln. Figaros Vater an Mme de Godeville, a. d. Französ. übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort versehen von Sylvia Tschörner. Mit einem Vorwort von Albert Gier. [Orig.: 1777-1779]
Innsbruck: Limbus Verlag 2017, 176 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-99039-116-7

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, Briefe ohne Nadeln
Wikipedia: Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais

 

Helmuth Schönauer, 26-12-2017

Bibliographie

AutorIn

Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais

Buchtitel

Briefe ohne Nadeln. Figaros Vater an Mme de Godeville

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Limbus Verlag

Übersetzung

Sylvia Tschörner

Seitenzahl

176

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-99039-116-7

Kurzbiographie AutorIn

Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, 1732-1799, war Uhrmacher, Erfinder und Schriftsteller im Frankreich des Ludwig XV.