Sebastian Guhr, Die Verbesserung unserer Träume

bild sebastian guhr_die verbesserung unserer träumeEin utopischer Roman kann zeitlich und räumlich Lichtjahre entfernt sein, es wird in ihm doch die irdische Gegenwart erzählt, weil Autor und Leser nicht aus ihrer Haut können.

Sebastian Guhr schickt alle auf den lebensfeindlichen Planeten Rheit, wo einst einmal ausgewanderte Menschen eine Siedlung erbaut haben, die allen Widrigkeiten trotzt und Platz für die Träume schafft.

Wie im echten Leben geht ein Großteil der Ressourcen in Überlebens-Schnickschnack drauf. Man kann zwar im Innern der Anlage prächtig wohnen, aber kaum tritt man vor die Schleuse, zwingt einen schon die unbarmherzige Hitze in die Knie. Aber man kann ja im Innern bleiben, nur was tun? Es gibt virtuellen Sex und ein Gesellschaftsspiel, bei dem man Erweiterungspunkte sammeln kann. (14) Und mit einem Account, den man wie einen USB-Stick ins Hirn stecken kann, ist man überall online.

Es gibt so etwas wie eine Öffentlichkeit, mehr oder weniger sinnlose Nachrichten werden herumgeschickt, soeben wird der ein-millionste Bewohner begrüßt. Generell wird die Mischung aus Leben und Handeln „träumen“ genannt. Die Urbewohner sind seinerzeit von der Erde ausgewandert, um endlich ihre Träume zu verwirklichen. Freilich ist dann das Träumen daraus geworden, das letztlich ins Leere führt.

Immer wieder freilich bemühen sich Protagonisten, diesen Traumzustand zu verbessern. Ähnlich wie in Oswald Wieners berühmtem Roman „Die Verbesserung von Mitteleuropa“ geht es darum, die Welt zu verbessern, indem man vor allem die Sprache verbessert. Das kann durch technische Kunstgriffe erfolgen, durch den Aufbau eines starken Kommunikationsnetzes, es kann aber auch durch Archäologie erfolgen, indem man bis an die Wurzeln eines Prozesses zurückgräbt, um daraus Irrwege und Verbesserungen abzuleiten.

Im Kapitel „besser träumen“ beginnt ein Protagonist seine Verbesserung in der Bibliothek.

„Ich bin viel in der Bibliothek.“ – „Das ist sehr gut. Träume oder Bücher?“ – „Zurzeit mehr Bücher.“ (49)

Später geht der Traumverbesserer aus dem Extensum hinaus ins Freie, was wegen der Hitze Lebensgefahr bedeutet. Unter einem Gletscher aus Schwefel, der vor allem zur Energiegewinnung genutzt wird, kommt ein sogenannter „eingewickelter Meteorit“ zum Vorschein. Er wird wie ein archaisches Heiligtum aufbewahrt, denn auch die aufgeklärteste Gesellschaft kommt nicht ohne einen Gründungsmythos mit passenden Devotionalien aus.

Warum träumt ein Planet? Um sein Gedächtnis aufzuräumen. – Im letzten Abschnitt versucht eine forschende Familie rund um einen Wissenschaftler und eine Lehrerin aus Steinen, Netzwerken und versteinerten Verästelungen das Unbekannte auf Rheit zu erforschen. Irgendwie scheint alles aus einer Katastrophe hervorgegangen zu sein. Und tatsächlich trifft der Traumverbesserer auf verstörte Menschen am Stadtrand, die zwar verwahrlost aber wissensdurstig sind.

Die wenigen, die noch lesen können, organisieren einen regelmäßigen Unterricht.

Sebastian Guhr zeigt eine Welt am Ende des Universums, die vielleicht deshalb überlebt, weil sie ihre eigene Herkunft auslesen und durch Träume verbessern kann. Wahrscheinlich ist auch die Menschheitsgeschichte so lapidar (auf Steinen) aufgebaut.

Sebastian Guhr, Die Verbesserung unserer Träume. Roman
Wien: Luftschacht Verlag 2017, 192 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-903081-14-7

 

Weiterführende Links:
Luftschacht Verlag: Sebastian Guhr, Die Verbesserung unserer Träume
Wikipedia: Sebastian Guhr

 

Helmuth Schönauer, 04-12-2017

Bibliographie

AutorIn

Sebastian Guhr

Buchtitel

Die Verbesserung unserer Träume

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2017

Verlag

Luftschacht Verlag

Seitenzahl

192

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-903081-14-7

Kurzbiographie AutorIn

Sebastian Guhr, geb. 1983 in Berlin, lebt in Neukölln.