Bastian Schneider, Die Schrift, die Mitte, der Trost

die schrift, die mitte, der trostIn der Literatur ist eine Kette nicht schwach wie am schwächsten Glied, sondern stark wie am stärksten Begriff. Die Schrift, die Mitte, der Trost ist daher eine tröstliche Unternehmung, weil der Trost der stärkste Begriff ist.

Bastian Schneider nennt seine Mikro-Texte Stadtstücke, weil sie meist auf der Bühne einer Stadt aufgeführt werden. Nach größeren Kapiteln wird deshalb immer ein Adressbuch eingeblendet, worin zu sehen ist, wo die Stücke spielen oder ihre Uraufführung erlebt haben.

Zu Beginn ist diese Bühne meist die Spitalgasse in Wien, andere Teile spielen auch in Walldorf, Heidelberg oder Tübingen, der Schlussteil gilt Pariser Aufführungen. Diese Adressen beziehen sich auch auf Bewegungen, die Fahrt von Marseille nach Paris ist in der Literatur geradezu ein Klassiker, der seine Wurzeln in den letalen Autofahrten Camus haben dürfte.

Heißt Schreiben nicht auch, die Leere vor sich herschieben? (7)

Alle Stücke beginnen mit der Schrift und entstehen aus der Schrift. So sagt im Medusenstück etwa jemand, „der Beinschinken ist einfach wahnsinnig!“ (20) Rund um diesen fleischigen Satz, der auch in der Erotik eingesetzt werden könnte, verweilt die Stadt ein paar Augenblicke, ehe sie Akteure samt Dramaturgie wieder in die Unauffälligkeit entlässt. Denn selbstverständlich arbeiten die spitzigen Stücke noch weiter und eitern im Fleisch der Stadt. Ums Eck kommt vielleicht das Tresenstück gebogen und versammelt ein paar Helden um sich, wobei einer seinen Alptraum erzählt, dass er in der Nacht seinen verstorbenen Vater erwürgt habe. In den jeweiligen Bruchstücken geht tatsächlich etwas physikalisch zu Bruch, und mit der Zeit entsteht der Eindruck, dass die Welt nur für den Bruch gemacht worden ist.

Spazierstück, Miststück, Singstück, Frühstück: der Leser wird auf eine gewisse Situation eingestimmt und dann aus dem Irrtum seiner eigenen Vorstellung herausgeführt.

Zwischendrin kommen diese kalmierenden Mittelstücke, die jeden beruhigen, der selbst in der Mitte ruht und vielleicht am Mitterweg wohnt. Mutter sagt zum Kind immer, es soll in der Mitte bleiben, damit nichts passiert. Nur einmal soll das Kind an den Rand, weil die Mutter außerhalb der Kindheit steht und es in der Mitte nicht mehr sehen könnte.

Dutzende Kleinodien sind in diesen Stücken vergraben, oft hauchdünn wie eine gehobelte Speise oder nicht angreifbar wie ein Schatten.

Traumstück / Die Wörter sind der Traum des Notizbuches, das Notizbuch ist der Traum der Innentasche, die Innentasche ist aus rotem Stoff. In dem Stoff ist ein kleines Loch. Von diesem Loch träumen die Wörter. (147)

Selten lässt sich eine Lebensphilosophie wie ein Geodreieck auf drei Seiten zusammenfassen: Durch die Schrift über die Mitte stößt man auf Trost. Und das vielleicht mitten in der Stadt.

Bastian Schneider, Die Schrift, die Mitte, der Trost. Stadtstücke
Wien: Sonderzahl Verlag 2018, 152 Seiten, 16,00 €, ISBN 978-3-85449-493-5


Weiterführende Links:
Sonderzahl Verlag: Bastian Schneider, Die Schrift, die Mitte, der Trost
Literaturort: Bastian Schneider

 

Helmuth Schönauer, 12-02-2018

Bibliographie

AutorIn

Bastian Schneider

Buchtitel

Die Schrift, die Mitte, der Trost. Stadtstücke

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sonderzahl Verlag

Seitenzahl

152

Preis in EUR

16,00

ISBN

978-3-85449-493-5

Kurzbiographie AutorIn

Bastian Schneider, geb. 1981 in Siegen, lebt in Köln und Wien.