Nadja Spiegel, Manchmal lüge ich und manchmal nicht

Buch-Cover

So ein Satz bringt Wahrheitsfanatiker auf die Palme. Manchmal lüge ich, manchmal nicht. Eine verschmitzte Erkenntnis, die ganze Wissenschaftszweige ad absurdum führt.

Nadja Spiegel stellt in ihren zwanzig Erzählungen jeweils Heldinnen vor, die sich in zwiespältigen Situationen lapidar zu wehren wissen. Die Situationen gleichen oft einem Münzwurf, bei dem Kopf oder Zahl, Lüge oder Wahrheit, Sein oder Nichtsein gleich wahrscheinlich auftreten.

In der Eingangserzählung spaltet sich eine junge Frau in zwei Metas auf, die nur durch das Geigenspiel voneinander zu unterscheiden sind. Die eine Meta kommt aus der Ukraine, die andere heißt vielleicht Anna und trinkt zu viel Bier. Das ständige Wechseln zwischen den Meta-Bildern lässt schließlich eine Figur entstehen, die nur manchmal eindeutig ist. Sobald der Liebhaber Paul auf das gespaltene Duo trifft, halten sich Zuneigung und Abneigung die Waage. Von der einen Meta weiß man wenigstens, dass sie Geige spielt, von der anderen weiß man nichts.

Aber nicht nur im künstlerischen oder theatralischen Sujet ist die Identitätsspaltung State of the Art, auch in trivialen Situationen tritt oft ein anderes Ich auf und stellt beinahe mathematische Übungen an.

In diesem Zusammenhang werden feste Regeln ad absurdum geführt. In der Geschichte "Lisa und Elias und ich" sind alle Handlungen gleich plausibel. Lisa hat manchmal recht und manchmal nicht, ich freue mich für euch sage ich, und manchmal lüge ich und manchmal nicht. (122)

Ausweg aus dem Nullsummenspiel der Erkenntnis bilden höchstens ausgesprochene Trivialitäten. ?Wie es ist fasst eine Erzählung zusammen, worin die Arbeit im Hotel nahtlos in den Tatort im Fernsehen übergeht, welcher nahtlos den Schlaf auslöst. Gewöhnlichkeit ist angesagt.

Das essen in der "sonne" ist essbar, aber auch nicht mehr, die leute sind erträglich, aber auch nicht mehr, und die "sonne" hat zwei sterne, aber eben auch nicht mehr (21)

In der Sequenz "Rechts und links" wälzt sich ein Paar synchron durch die ganze Nacht und sieht naturgemäß alles doppelt. Wir drehen links, wir drehen rechts, heißt es den ganzen Text hindurch. Kann sein, dass es sich bei diesem Paar um Milchsäuren handelt.

Eine kafkaeske Reminiszenz an den großen Prager Grotesken stellt das Mädchen K. dar, das keine Aufgabe und keinen Sinn hat, aber der Erzählerin ständig auf den Fersen ist. Am Bahnhof wird kurzfristig eine Bahnsteigänderung durchgesagt, die Erzählerin springt über die Gleise, K. hintennach wird vom Zug überfahren. Ein echter Kafka eben.

Nadja Spiegel erzählt trocken von den Wahrscheinlichkeiten, den Porträts eines doppelten Ichs, vom Hunger eines Kleinkinds auf Befehl und von Schwesternmotiven, worin Veränderungen zum Konkurrenzkampf der beteiligten Personen-Teile werden.
Frech, schön verlogen, wahrscheinlich oder nicht.

Nadja Spiegel, manchmal lüge ich und manchmal nicht. Erzählungen
Innsbruck: Skarabaeus 2011, 256 Seiten, 16,90 €, ISBN 978-3-7082-3295-9

 

Weiterführender Link:
Skarabaeus-Verlag: Nadja Spiegel, manchmal lüge ich und manchmal nicht

 

Helmuth Schönauer, 20-06-2011

 

 

Bibliographie

AutorIn

Nadja Spiegel

Buchtitel

Manchmal lüge ich und manchmal nicht

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

256

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-7082-3295-9

Kurzbiographie AutorIn

Nadja Spiegel, geb. 1922 in Lustenau, lebt in Lustenau.