Andreas Unterweger, Grungy Nuts

andreas unterweger, grungy nutsGrob umschrieben könnten Grungy Nuts ein Haufen voll dreckiger Nüsse sein, die man vielleicht sogar vom Boden aufgeklaubt hat und die wahrscheinlich weder nach Art noch nach Reifezustand sortiert sind. Ein ideales Bild für eine Erzählform, in der sich herbei-komponierter Zufall und ironische Absicht die Waage halten.

Andreas Unterweger betreibt einen ziemlichen Aufwand an ordnenden Maßnahmen, um das Diffuse, Schrundige, Schmuddelige seiner Erzählungen in eine Fasson zu kriegen. So sind die Erzählungen im ersten Überblick abgeschlossene Ereignisse mit einem festen Figuren-Set, aber bald einmal fransen diese Ereignisse aus und laufen über in die nächste Erzählung, die wie eine Auffang-Schüssel unter den vorhergehenden Text gestellt ist. Was in der einen Erzählung nicht Platz hat, läuft über und wird in der nächsten aufgefangen. Pathetisch könnte man vom Römischen Brunnen sprechen, wo das Wasser ja auch gleichzeitig steht und rinnt.

Die Pathetische Anspielung ist überhaupt ein wesentliches Merkmal der Erzählungen. Im „Koffeinismus“ wird das Brauen von Filterkaffee mit jenem Aufwand beschrieben, den Karl Marx für die Deutung des Kapitalismus verwendet hat. Das Ganze explodiert zu einer Initiations-Geschichte, weil der Protagonist siebzehn ist und mit dem Kaffee-Kochen jetzt in die echte Welt und die Literatur eingeführt wird. Während die einzelnen Kaffee-Ladungen heruntertropfen, gibt es Anspielungen auf Balzac, Kerouac oder Robert Walser. Allein die Vorstellung, dass sich der patscherte „Gehülfe“ aus dem gleichnamigen Roman einen Kaffee hätte kochen wollen, lässt erahnen, dass es tatsächlich so etwas wie den Koffeinismus gibt.

Die überlaufende Ordnung von Motiven und Helden, die fast immer siebzehn sind, nistet sich auch in den einzelnen Erzählungen ein. Wie in einem lyrischen Werk spielt das Layout eine entscheidende Rolle. Der Satzspiegel wird zu einem harmonischen Schnitt zusammengebrochen, wie ihn die legendären Schutzengel-Bildchen haben, die vor langer Zeit über dem Strohsack des Kindes aufgenagelt worden sind. Dreimal fünf Zeilen und ein Abgang in einem Zweizeiler: es ist eine verdammt starke Ordnung, die dem Auge entgegen springt.

Und zwischen den Zeilen erst! Da geht es um einen Koffer, der eine heldenhafte Rolle spielt, um Klomuscheln, die für die erste Liebe herhalten müssen, und um schwarzes Blut, das vielleicht ein Zitat aus einem Untergrund-Song ist.

Gegen Mitte des Buches hin wird die Ordnung zusätzlich verschärft und dramaturgisch professionalisiert, es gibt plötzlich Akte, die mit Schlüsselsequenzen unterlegt sind. So heißt der erste Akt zukunftsfroh Elektrifizierung, dem Feuerprobe und Plattenvertrag folgen. In dieser Erzählung, die offensichtlich auf das elegische Verwerten von Alltagsgegenständen und Trivial-Situationen aus ist, geht es vielleicht um Hardcore in der Musikszene, wobei alles noch härter ist als der sprichwörtliche Grunge, den die Musiker featuren sollen.

Den Höhepunkt an Erzähl-Ordnung setzt die Vorgabe, dass die Erzählung Elf tatsächlich aus elf Erzählungen besteht. Ein Bibliothekar könnte bei der Aufnahme des Buches für das Regal an dieser Stelle leicht vor Aufregung sterben, weil es in der Literatur höchst selten ist, dass Beschreibungsmerkmal und Beschreibung identisch sind.

Im Erzählsack rund um Grungy Nuts ist es schließlich dunkel und alles greift amorph ineinander über. Eine Menge von Siebzehn-Zeilern zieht sich im Blocksatz dahin, oben flunkern in Klammern gesetzt Wörter wie Erwartung, Vereinnahmung oder Geis der Erzählung, unten hat man kaum eine Chance, aus dem Textblock Schlüsselwörter herauszuschlagen, so dass man als Leser diese Textmasse durchsteigen muss, indem man routiniert tragende Karabiner-Sicherungen anbringt.

Ist diese Nuss-Masse einmal durchstiegen, kommt man in den Anhang, worin eine österreichische Spezialität aufgeschlüsselt wird: es geht um Unterkellerungen aller Art. Spätestens seit Freuds Unterbewusstseins und Fritzls Amstettner Unterkellerung gilt die Österreichische Seele als etwas Tiefer-Gelegtes, wobei man mit den Felgen durchaus auf das Grundwasser der Bildung aufsetzen darf.

Andreas Unterwegers Erzählungen sind ein Vorgang, der sich nur erzählen lässt, indem man den Lesevorgang ständig neu analysiert und vor einem her rollt wie ein Kettenfahrzeug, das letztlich immer auf sich selber fährt. Und dieser Vorgang lässt sich in weiteren Lektüre-Schritten dann umschreiben, indem man Mittel aus der Grunge Musik aufsucht, sich von der Geologie beraten lässt, oder es mit der guten alten Mengenlehre der Mathematik versucht, indem man Sätze hin und her schiebt und jemanden fragen lässt, wie viel es geschlagen hat.

Nicht nur ordnungsliebende Bibliothekare flippen bei diesen Texten aus, jeder, der an ein triviales Besteck gewöhnt ist, wird staunen, wie umfangreich und ordentlich ein Erzählbesteck sein kann.

Andreas Unterweger, Grungy Nuts. Erzählungen
Graz: Droschl Verlag 2018, 157 Seiten, 19,00 €, ISBN 978-3-99059-021-8

 

Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Andreas Unterweger, Grungy Nuts
Wikipedia: Andreas Unterweger

 

Helmuth Schönauer, 09-08-2018

Bibliographie

AutorIn

Andreas Unterweger

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Droschl Verlag

Reihe

Grungy Nuts

Seitenzahl

157

Preis in EUR

19,00

ISBN

978-3-99059-021-8

Kurzbiographie AutorIn

Andreas Unterweger, geb. 1978 in Graz, lebt in Leibnitz.