Paolo Rumiz, Die Seele des Flusses

paolo rumiz, die seele des flussesWitze mit dem Po sind so selten und gut, dass man während seines Leser-Lebens keinen einzigen versäumen möchte. Mit dem Po durch ein unbekanntes Italien wäre sicher frech, weil der Hintern als zusätzliches Sinnesorgan eingesetzt sein könnte. Leider ist die Literatur im entscheidenden Augenblick oft humorlos, Po heißt natürlich der Fluss und sonst nichts.

Zumal Paolo Rumiz ein ernsthafter Reisender und Mitschreibender ist. Er macht seine Reisen nur, damit er was zum Schreiben hat, und schreibt nur, damit er wieder reisen kann. Die Seele des Flusses ist somit eine Flusswanderung von der Quelle bis ins Delta, voller Hinhören, Hinschauen, Hinschmecken, denn es wird ja ausgiebig degustiert, wenn man das Ufer hinaufkrabbelt in eine Taverne.

Diese Euphorie hat ähnlich wie das Besteigen von Bergen den kleinen Nachteil: sie lässt sich nicht erzählen. Als Leser wirst du mit den verrückten Empfindungen des Autors konfrontiert und kannst nichts machen, als den Po hinunterrinnen zu lassen.

Im ersten Anschnitt ist die „Seele des Flusses“ ein Reiseführer, der in sechs Kapiteln den Po ausreizt. Turin ist dabei die einzige größere Stadt, die direkt am Ufer liegt, alle anderen Großstädte meidet der Po. Auf mehreren Karten sind deshalb Wasseradern, Flusszuläufe, Siedlungen und Stauwerke verzeichnet. Die handgefertigten Skizzen erwecken den Eindruck, als sei der Fluss das erste Mal beschifft worden, zumal die Orte und Biegungen oft so lokal sind, dass sie auch im Navi nur bei großem Zoom auftauchen.
Je nach Flusstiefe ändern sich auch die Schifffahrtsgeräte, von Kanu über Barke und Segelboot wird alles eingesetzt, um die Truppe rund um den Autor unterhaltsam ins Delta zu bringen. Natürlich ist der Weg das Ziel, und das Delta unterstützt dieses Sprichwort, denn ein Delta ist immer ein diffuses Ziel, das sich jeden Tag neu auf-sandet.

Der Fluss ist die ideale Triebfeder für den freien Gedankenlauf. Mal ergeben sich beim Essen philosophische Essays, die über den Teller gesprochen werden, dann spricht die Stille und wirkt mit ihren Grundelementen Wasser, Vögel und Dunst, schließlich ist es der Schreibfluss, der sich mit dem Außenfluss verbindet. Jemandem mit einer Schreibkrise kann man nur den Po empfehlen, dann kommt alles wie von selbst.

Durch das Schreiben entsteht schließlich das Leben neu, während die aufschreibende Seele dahingleitet, tun sich Geschichte, Heimatkunde und biologische Metaphern auf, die letztlich zu einer einzigen Ruhe-Bewegung werden. Der Kontinent ist erstarrt durch diese Geschichte und man sitzt mitten im Dornröschenschlaf, während man liest.

Paolo Rumiz erzählt ein Stück Landschaft, Politik und Europa. Im Endeffekt erzählt er aber vom Inneren eines Individuums, das durch das eigene Leben fährt. Wer imstande ist, durch die eigene Seele zu gleiten wie auf einem Po, der hat ziemlich viel kapiert vom Abenteuer Leben. Aufbauend, abfließend!

Paolo Rumiz, Die Seele des Flusses. Auf dem Po durch ein unbekanntes Italien mit Fotografien von Alessandro Scillitani, a. d. Ital. von Karin Fleischanderl [Orig.: Morimondo, Mailand 2013]
Wien, Bozen: Folio Verlag 2018, 282 Seiten, 24,00 €, ISBN 978-3-85256-742-6

 

Weiterführende Links:
Folio Verlag: Paolo Rumiz, Die Seele des Flusses
Wikipedia: Paolo Rumiz

 

Helmuth Schönauer, 30-06-2017

Bibliographie

AutorIn

Paolo Rumiz

Buchtitel

Die Seele des Flusses. Auf dem Po durch ein unbekanntes Italien

Originaltitel

Morimondo

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Folio Verlag

Illustration

Alessandro Scillitani

Übersetzung

Karin Fleischanderl

Seitenzahl

282

Preis in EUR

24,00

ISBN

978-3-85256-742-6

Kurzbiographie AutorIn

Paolo Rumiz, geb. 1947 in Triest, Reisejournalist und Schriftsteller, lebt in Triest.