Peter Steiner, Das Schweigen der Meere

peter steiner, das schweigen des meeresDie Konstellation fiktionaler Figuren kann man als Leser auswendig lernen oder vergessen, beides hat auf den Fortgang eines Romans keine Auswirkung. Wir kennen es ja von den russischen Realisten, wo man entweder ein Lexikon skurriler Figuren neben dem Buch liegen hat oder einfach alle Figuren mit einem „ow“ hinten dran als Helden deutet.

Peter Steiner rückt im Roman „Das Schweigen der Meere“ einen achtzigjährigen Ich-Erzähler in den Mittelpunkt, der in einem längeren Vorspiel scheinbar sinnlos Konstellationen und Figuren kundtut. Teilweise stellt sich der Erzähler selbst die Figuren auf, teils räsoniert er, teils spekuliert er. Dieses Vorspiel ist das Ausbrüten längst vergangener Ereignisse, die niemanden mehr interessieren, weil die Zeitgenossen schon alle gestorben sind und die Nachfahren andere Interessen haben.

Doch dann kriegt diese Erinnerungsblase doch noch eine Struktur, indem der alte Erzähler noch einmal gebraucht wird. Ein griechischer Schmetterlingsforscher will etwas von einem DiRocca wissen, der vielleicht der Vater eines befreundeten Reeders ist. Und überhaupt, rundherum sind die Personen schon gestorben und haben irgendwelche Aufzeichnungen hinterlassen, und der Erzähler ist vielleicht der Einzige, der das alles zusammenbringen kann.

Nun muss man wissen, dass der Erzähler Veit Troyer als Bergbaudirektor in der ganzen Welt herumgekommen ist. Sein Arbeitsmaterial Erz führt ihn in die entlegensten Gegenden Afrikas und Südamerikas. Die Welt ist für Veit also immer dort, wo sie zu Ende ist. Als Begleiterscheinungen dieser Dienstaufenthalte gibt es diverse Freundschaften, Geschäftsbeziehungen und Liebschaften. Und oft wird alles abgebrochen, weil im Hintergrund ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist.

In den drei Kapiteln reist Veit noch einmal den zivilisierten Teil der Welt ab, und siehe, auch er ist gepflastert mit Bürgerkrieg und Liebschaften. In Griechenland stößt er auf einen Bunker der Deutschen, der später von den Obristen als Folterkammer verwendet worden ist, in Paris macht als Schlüsselstelle eine uralte Frau die Tür auf und schreit Gestapo, als sie den Erzähler sieht. Und unter dem Aspekt vom Bunkerwesen lebt Veit in seinem Haus am Fichtenberg in einem abgeschlossenen System, in das Post handfest vom „Brieftroga“ übermittelt wird und wohin unter den Potenzmails auch die eine oder andere Nachricht in den Account findet.

Während seiner Aufarbeitungen durchstöbert er jede Menge Notizen und Bilder, manchmal zieht er auch seine Feldbücher zu Rate, „damit er im Bilde ist“. (30) Diese Bildhaftigkeit ist wörtlich zu verstehen, denn der Held projiziert sich selbst hinein, bis er eben ganz im Bilde ist.

Die Handlungen und Recherche-Reisen sind immer unterbrochen vom Refugium am Fichtenberg, das vom Wechsel der Jahreszeiten bestimmt wird. Wie in einem Stifterschen Ansatz bestimmt die Natur die Laune des Beobachters und ermöglicht ihm an sonnigen Tagen Sonniges und an düsteren Tagen Düsteres zu entdecken. Verstärkt wird diese Natur durch den Nachbarn Kranewitter, wer wenig spricht, aber mit seinen Handgriffen andeutet, was es in der Natur geschlagen hat. Allein wie er die Meter-Scheite für den Winter ordnet, zeigt, wie man sein Leben zu ordnen hat, damit man sich zurecht findet im aufgeschichteten Holz.

Veit ordnet alles, damit der Schmetterlingsforscher Gewissheit über seine Herkunft hat und die Zufallsnamen in eine Ordnung fallen. Die Geschwindigkeit des Erzählers ist manchmal überaus bedächtig, wenn nichts weitergeht, dann wieder sprunghaft, wenn es vom einen Kontinent in den anderen geht. Ja, das ist das Schweigen der Meere, wenn man sie mit Erinnerung durchpflügt.

Als Leser hat man es bald aufgegeben, die einzelnen Erlebnis-Verknüpfungen des Rechercheurs und Regisseurs durchzugehen, die Botschaft liegt in der Art, wie vergangene Nebensächlichkeiten nach Jahrzehnten erst die wahre Bedeutung erlangen. Man darf nicht vergessen, dieser Erzähler ist zu alt dafür, dass man ihm widersprechen könnte, er ist der letzte Zeitzeuge seines eigenen Lebens.

Lesedidaktisch gesehen erinnert dieses Vorgehen an eine lange Erzählung im Altersheim, wo die jüngere Zuhörerschaft schwankt zwischen Spontan-Vergessen und Aufnotieren für eine ungewisse Zeit. Dabei ist dieser Erzähler hellwach und lebensschlau, am Ende erfährt der Achtzigjährige, dass er auf der Recherchetour mit einer 27-Jährigen ein Kind gezeigt hat. Offensichtlich sind zu viele Potenzmittel in seinen Account gelangt.

Peter Steiner, Das Schweigen der Meere. Roman
Innsbruck: Edition Laurin 2018, 318 Seiten, 23,90 €, ISBN 978-3-902866-68-4

 

Weiterführende Links:
Edition Laurin: Peter Steiner, Das Schweigen der Meere
Homepage: Peter Steiner

 

Helmuth Schönauer, 05-09-2018

Bibliographie

AutorIn

Peter Steiner

Buchtitel

Das Schweigen der Meer

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Edition Laurin

Seitenzahl

318

Preis in EUR

23,90

ISBN

978-3-902866-68-4

Kurzbiographie AutorIn

Peter Steiner, geb. 1937 in Baden bei Wien, lebt in Baden bei Wien.