Irene Prugger, Letzte Ausfahrt vor der Grenze

Buch-Cover

Nichts ist so aufregend wie das Märchen von der letzten Chance. Diese ultimative Drohung mit radikaler Veränderung verzeiht den Helden keinen Fehler, andererseits spekulieren diese mit dem Möglichkeitssinn: Was passiert eigentlich, wenn ich die letzte Chance nicht schaffe?

Irene Prugger stellt in achtzehn Erzählungen sogenannte Beziehungsdramen vor, worin die Darsteller mehr oder weniger ans Ende gekommen sind, aber dann doch noch versuchen, die Kurve zu kratzen.

In der Titel gebenden Erzählung Letzte Ausfahrt vor der Grenze (67) kratzt eine Frau im wahrsten Sinne des Wortes die Kurve. Ihr Mann ist Politiker und gehört der Gesellschaft, sie hat sich hinter der Grenze einen Lover zugelegt, mit dem sie sporadisch so genannte Höhepunkte des Zusammenseins erlebt. Getarnt als Wellness-Urlaub ist die Frau schon knapp an der Grenze, als ihr einfällt, dass sie zu Hause das ausgedruckte Mail des Lovers liegen hat lassen. Spontan nimmt sie die letzte Ausfahrt und in diesem Moment kommt es auf der Hauptstrecke zu einem katastrophalen Unfall. Das schlechte Gewissen hat ihr offensichtlich das Leben gerettet.

Die sogenannte Moral quält generell die Menschen, die sich auf Querverbindungen eingelassen haben. Gleich in der ersten Geschichte "Paartherapie" (7) begibt sich ein Paar zur Therapeutin und erzählt vom Glück. "Wie therapiert man ein glückliches Paar, ohne es ins Unglück zu stürzen?" Die Therapeutin taucht während des Gesprächs selbst ab und geht allerhand triviale Begebenheiten ihrer eigenen Beziehungskrise durch. Als sie wieder in der Therapiewirklichkeit ankommt, empfiehlt sie gemeinsames Kochen, weil das immer gut ankommt. Da stellt sich heraus, dass das glückliche Paar aus gewissen Gründen getrennte Küchen hat.

Verfremdungen, die nahtlos in die Gewöhnlichkeit übergehen, sind ein Hauptmotiv in Irene Pruggers Erzählungen. Ein verödetes Paar nimmt sich eine Woche Auszeit, niemand braucht dem anderen zu erzählen, was auf dem Programm steht. Witzigerweise fahren beide getrennt an den gleichen Ort der gemeinsamen Erinnerung.

Ähnliches trägt sich auch im Dark Room eines Swingerclubs zu. Erst in der Verfremdung der öffentlichen Erotik findet ein Paar wieder Lust aufeinander. Und immer wieder ist es die Routine, die die Menschen zur Verzweiflung bringt. Kein Wunder, dass sich in der Geschichte vom Anfang des Tunnels (145) jemand vor den Zug wirft, aus seinem Körper heraustritt und feststellt, dass nicht einmal ein geordneter Abgang aus dem Desaster des Lebens möglich ist.

Irene Pruggers Erzählungen sind wahr, denn als Leser muss man zum hohen Wahrscheinlichkeitsgrad der Plots nicken, sie sind spannend, weil sie dramaturgisch einwandfrei immer eine Überraschung auf Lager haben, und sie sind schließlich ergreifend, denn wir Leser sind alle ähnlich gepolt wie diese aufregenden Alltagshelden.

Irene Prugger, Letzte Ausfahrt vor der Grenze. Erzählungen
Innsbruck: Haymon 2011, 178 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-85218-699-3

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Irene Prugger, Letzte Ausfahrt vor der Grenze

 

Helmuth Schönauer, 18-08-2011

Bibliographie

AutorIn

Irene Prugger

Buchtitel

Letzte Ausfahrt vor der Grenze

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

Haymon

Seitenzahl

178

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-699-3

Kurzbiographie AutorIn

Irene Prugger, geb. 1959 in Hall / Tirol, lebt in Mils bei Hall.