Helmut Rizy, Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal
Spannung entsteht immer an jener Auflage, wo die Fiktion auf der Landebahn der Realität aufsetzt. In Spionagefilmen löst die höchste Spannung immer jenes sagenumwobene Quietschen der Reifen aus, wenn das Flugzeug mit dem Helden an Bord auf der Landebahn des Einsatzortes aufsetzt.
Helmut Rizy hat dieses Quietschen in der Literatur zum Anlass genommen, um einen Roman über das Aufsetzen erfundener Geschichten in einer harten literarischen Realität zu beschrieben. Der Herausgeber, Textmanager und Promotor des Romans ist eher zufällig auf den Einbuchbestseller Kiesewetter gestoßen, der ein typisches Genieschicksal durchleben muss.
Kiesewetter ist vom ersten Bestseller fetzreich geworden, aber auch kopfleer, was den nächsten Roman betrifft. Da selbst ein Diktaphon zu umständlich ist für die komplizierten Nonsensgedanken, engagiert er wie einst Goethe seinen Eckemann den späteren Herausgeber als Sekretär. Dieser muss ihn Tag und Nacht mit dem klassischen Notizblock in der Hand begleiten, um alles aufzuschreiben, was einmal ein Roman werden könnte.
Wie bei den echten Romanciers üblich, "verendet" Kiesewetter auf offener Schreibstrecke. Da auch kein Geld mehr zu holen ist, entschließt sich der Herausgeber, das Arbeitsjournal zu veröffentlichen. In diesem Steinbruch voller unausgegorener Gedanken nisten sich bald die interessantesten Gedankenvögel ein.
Das ganze Journal ist ein Versuch, einem journalistisch seichten Alltagsanspruch der Umwelt mit einem jämmerlich einfachen Innenleben zu entsprechen. Kiesewetter ist umso öfter eine arme Sau, je mehr er sich in den Habitus eines großen Schriftstellers stürzt.
In unendlich mühselig trivialen Arrangements geht es täglich darum, etwas zu jenem Roman beizutragen, der mit jedem Tag in weitere Ferne rückt. Zwischen 11. September und 16. Dezember eines x-beliebigen Jahres häuft sich so ein Journal von gut zweihundert Seiten an. Die einzige Gliederung dieser Wurst besteht in dem viel sagenden Ausruf "ausgeredet", was so viel wie Ende, Halt die Gosche, die Sache ist erledigt oder ich bin fertig bedeuten kann.
Helmut Rizys Roman handelt von einer großen Literaturgeschichte, die auf eine jämmerliche Daseinswurst heruntergezoomt wird. Seine Protagonisten haben die Literatur als großen Rucksack umgeschnallt, der sie verlässlich zu Boden wirft. Hinter den grausamen Alltagsschikanen beim Schreiben stellt sich durchgehend die Frage, wozu tun sich die Dichter das an. "Man kann nichts erzwingen ?" (180) lautet schließlich die Erkenntnis, die zum Schreiben drängt und von diesem abhält.
Nach diesem Arbeitsjournal ist man als Leser froh, kein Dichter sein zu müssen, andererseits ist man dem Meta-Dichter Helmut Rizy dankbar, dass er so viel Stoff so liebenswürdig witzig für einen zusammengetragen hat, damit man sich die Recherche von eigenem Nonsens scheinbar ersparen kann. Aber dann dämmert es einem doch: Als Leser sitzen wir höchstens auf der anderen Seite des Scheißbergs, deshalb lieben wir die Dichter alle.
Helmut Rizy, Andreas Kiesewetters Arbeitsjournal. Roman.
Weitra: Bibliothek der Provinz 2003. 218 Seiten. EUR 22,-. ISBN 3-85252-422-9.
Helmuth Schönauer, 14-07-2004