Bernhard Strobel, Im Vorgarten der Palme

bernhard strobel, im vorgarten der palmeDie großen Dinge wie Liebe, Glück und Zufriedenheit sind oft nur deshalb so schwer zu erreichen, weil es keine gesicherten Erfahrungsparameter dafür gibt.

Bernhard Strobel baut in einer Siedlung einen üppigen Glückskosmos auf, der so reichhaltig bestückt ist, dass einem das Glück als gebratene Taube in den Mund fliegt. Aus Gründen des umgreifenden Tierschutzes ist diese Taube freilich als Palme ausgestaltet und steht in einem Vorgarten.

Ein gewisser Leidegger scheint es trotz seines ominösen Namens geschafft zu haben. Er hat Arbeit, ein Haus mit Vorgarten und eine Frau, die auf den Namen Martina hört und soeben ein Kind gekriegt hat. In dieser minimalistischen Konstellation liegt aber auch das Fatale. Wie kann er ein Verhältnis zu seiner frisch geborenen Tochter entwickeln, wenn bei jeder Empfindung die Frau dazwischengeht?

Der Held ist sich sicher, dass er das Glück fassen könnte, wenn es sich eindeutig äußern würde. Aber die ganze Welt ist mehrdeutig, fake-ig und voller Widersprüche. Eine kleine Szene zieht sich als inszenierte Hölle durch den Roman. Hat Leidegger, als er von der Geburt seiner Tochter erfahren hat, seine ehemalige Freundin davon verständigt, wie Martina argwöhnt, oder nicht? Denn auch Martina äußert sich durchaus zweideutig und fühlt sich als zweite Wahl. Vielleicht hätte Leidegger doch lieber die Tochter mit der Vorgängerin zeugen sollen.

In dieser wackeligen Idylle steht die Palme eisern im Vorgarten. Sie ist das Erste, was Leidegger sieht, wenn er nach Hause kommt, und das Letzte, wenn er noch einmal eine Runde dreht, weil er es zu Hause nicht aushält.

In der Idylle und im Schmerz verlässt einen das Zeitgefühl, die erzählte Woche fühlt sich wie ein langes, verhunztes Leben an. Der Held bemüht sich um Martina, macht aber immer etwas falsch, beispielsweise vergisst er den Kuss, nachdem er den Tochterkuss abgesetzt hat. Dann wiederum stimmt die Raumaufteilung nicht, man kommt sich zu nahe oder vermutet eine Intrige, wenn eines der beiden im Garten sitzt. Schließlich zieht Martina kurz einmal aus, aber es muss nichts bedeuten, zumal ja die Schwiegermutter auftaucht und alles in den rosaroten Bereich zu drehen wünscht.

In Leideggers Körper war eine Unruhe, aus der heraus keine Beruhigung stattfinden konnte. […] Im Vorgarten hockte er sich neben die Palme, betastete die Erde im Trog und stellte fest, dass sie nicht zu feucht war. (75)

Allmählich kollabiert Leidegger auf allen Ebenen. Er holt eine alte Dart-Scheibe aus Kindheitstagen hervor und gleitet in einen Schwindelanfall. Das Wochenende erweist sich erst nach dem Wochenende als richtig anstrengend, wenn man überlegt, was alles übers Wochenende schief gegangen ist. Es kommt die Stunde, da braucht es kein Rechtfertigen mehr, „denn auf einmal war alles falsch geworden“. Leidegger stellt mit Entsetzen fest, dass er schon länger nicht mehr nach der Palme gesehen hat. Er stellt sich eine Katastrophe mit Palme vor, damit die echte Begegnung im Vorgarten nicht so schlimm wäre. Aber einmal im Katastrophenmodus hochgefahren, gibt es kein Entrinnen mehr. Leidegger schaut die vor seine Augen projizierten Bilder an.

Nur rennen, rennen wollte er. Nichts sehen müssen, nur rennen. (185)

Thomas Strobel erzählt dokumentarisch kühl von einer Wahrnehmungskatastrophe, worin es letztlich keinen Halt mehr für den Helden gibt. Wenn die Sicht auf die Dinge verstört ist, werden die Dinge selbst verstört und schlagen zurück. Zwischen den Bildern des Unglücks und dem Unglück wird selbst der ausgefuchsteste Held zermalmt. Und das ganze Unglück besteht darin, dass es keine Gewissheit gibt, wie Wittgenstein sagen würde. – Als Leser wird man ordentlich auf die Palme gebracht.

Bernhard Strobel, Im Vorgarten der Palme. Roman
Graz: Droschl Verlag 2018 185 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-99059-019-5

 

Weiterführende Links:
Droschl Verlag: Bernhard Strobel, Im Vorgarten der Palme
Wikipedia: Bernhard Strobel

 

Helmuth Schönauer, 02-10-2018

Bibliographie

AutorIn

Bernhard Strobel

Buchtitel

Im Vorgarten der Palme

Erscheinungsort

Graz

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Droschl Verlag

Seitenzahl

185

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-99059-019-5

Kurzbiographie AutorIn

Bernhard Strobel, geb. 1982 in Wien, lebt in Neusiedl am See.