Judith Sevinç Basad, Schäm dich!

judith sevenc basad, schäm dich„Den Aktivisten geht es aber nicht um pragmatische Lösungen. Ihnen geht es um einen Kulturkampf: Die Welt soll in »Gut« und »Böse«, in Täter und Opfer, in Privilegierte und Nicht-Privilegierte, in Weiße und Schwarze, Mann und Frau, Deutsche und Migranten, Heterosexuelle und Queers eingeteilt werden.“ (S. 49)

„Social-Justice-Warriors“, die sich einer radikalen Form der „political correctness“ verschrieben haben, gewinnen zunehmend Einfluss auf das öffentliche und politische Leben, besonders augenfällig an den neuen Kriterien zur Kandidatur für den besten oscar-prämierten Film oder daran, missliebige Meinungen mit dem Prädikat „rassistisch“ oder „faschistisch“ zu abzuwerten. Woher dieses Denken kommt und welche Ziele damit verfolgt werden, steht im Mittelpunkt des Sachbuchs „Schäm dich!“

Gleich zu Beginn wird ein besonders drastisches Beispiel gezeigt zum Thema „Rassismus im Alltag“ gezeigt, die 2014 unter dem Titel „Der Rassist in uns“ als Dokumentarfilm im deutschen Sender ZDFneo ausgestrahlt worden ist. In einem Diversity-Work-shop sollten die Teilnehmer auf menschenverachtende Weise am eigenen Leib spüren, was es heißt Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft zu erfahren.

Dahinter steht die Vorstellung, dass Diskriminierung und Rassismus schmerzhaft erfahren werden müssen, um eine diskriminierungsfreie Gesellschaft zu ermöglichen. Wie sehr diese Vorstellungen bereits Eingang in unsere Gesellschaft gefunden haben, zeigt, dass „große Konzerne wie Ikea, Vodafone und L’Oréal, aber auch Bund und Länder in Sachen Diskriminierung“ (S. 14) von der gleichen Diversitiy-Initiative beraten werden, die den genannten Workshop durchgeführt hat.

In zehn Kapiteln setzt sich die Autorin mit den unterschiedlichen Grundlagen und Phänomenen dieser Denkweise auseinander. Das Kapitel „Lassen wir John Lennon einfach träumen“ geht der Frage nach den idealen gesellschaftlichen Verhältnissen in der Geschichte der utopischen Philosophie von Platon bis in die Gegenwart und den damit verbundenen Problemen nach.

Die Kapitel „»Narrativ« »Diskurs« und »dekonstruieren« - alles nur harmlose Trends?“ und „Weiße Privilegien: Wer ist das größte Opfer?“ zeigen auf, wie aus philosophischen Strömungen rund um Michel Foucault, Judith Butler u.a. die Vorstellung in den Mittelpunkt gerät, dass die Realität der Herrschenden dekonstruiert werden müssen, um die wahren Machtverhältnisse zu durchleuchten und zu erkennen. In den 90-iger Jahren ging es daran, diese Theorien in die Praxis umzusetzen, um die herrschenden Machtverhältnisse zu zerstören. Ganze Forschungszweige haben sich mittlerweile der „Social Justice“ verschrieben und unterschiedliche Disziplinen hervorgebracht, wie „Gender Studies“, „Postcolonial Studies“ „Cultural Studies“ „Queer Studies“, „Fat Studies“ sowie damit einhergehende Theorien formuliert. Dabei werden „Opfer“ definiert und Strukturen der Diskriminierung aufgezeigt, die es zu bekämpfen gilt.

Aber wo „Opfer“ deklariert werden, braucht es auch die dazu passenden Täter, die in den vorherrschenden Mitgliedern der Gesellschaft ausgemacht werden: die westlichen, weißen und heterosexuellen Männer. Diese Ideologie entlarvt Sevinç als eine Art auf den Kopf gestellten Rassismus, in dem Menschen in schubladisiert und abgeurteilt werden. Je nach dem Ausmaß der Täter- oder Opferrolle sollen die ausgemachten Gruppen in Zukunft mehr oder weniger Rechte erhalten.

Welche konkreten Auswirkungen eines solchen Denkens sich bereits erkennen lassen zeigen die Kapitel „Cancel Culture“, „Von Spätz*innen und Gäst*innen“, „Schäm dich!“, „Mit Islamisten kuscheln“ und „Wenn sich Journalisten mit Aktivisten verwechseln“ auf. Das letzte Kapitel „Schluss: Wohlstandsverwahrlosung oder der Narzissmus der Bildungseliten“ geht mit den Aktivisten dieser Bewegung hart in Gericht und macht als treibende Kraft ihres Aktivismus den fehlenden Lebenssinn einer in Wohlstand schweifenden Generation.

Der Social-Justice-Aktivismus ist eine Ersatzbefriedigung für die privilegierten Rich-Kids, die so sehr im eigenen Wohlstand versunken sind, dass sie ihn nicht mehr wertschätzen können. Sie sehnen sich nach Problemen, Intrigen und Bedrohungen. (S. 197)

Judith Sevinç Basads Auseinandersetzung mit dem zunehmend verbreiteten Phänomen der extremen „political correctnes“ analysiert mit viel Hintergrundwissen die Grundlagen und Auswirkungen dieses Denkens für die westlichen Gesellschaften. Dabei werden berechtigte Kritikpunkte an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der Gegenwart ebenso kritisiert, wie die Auswüchse des radikalen „Social Justice“-Denkens und deren potenzielle Gefahren.

Ein überaus informatives Sachbuch, das sich ebenso spannend wie verständlich mit einem gesellschaftspolitisch heiß diskutierten Thema der Gegenwart auseinandersetzt und den engen Zusammenhang zwischen theoretischen philosophischen Grundlagen und praktischen Auswirkungen deutlich macht.

Judith Sevinç Basad, Schäm dich! Wie Ideologinnen und Ideologen die Welt in Gut und Böse einteilen
Frankfurt a. Main: Westend Verlag 2021, 224 Seiten, 18,50 €, ISBN 978-3-86489-212-7

 

Weiterführender Link:
Westend Verlag: Judith Sevinç Basad, Schäm dich!

 

Andreas Markt-Huter, 12-04-2021

Bibliographie

AutorIn

Judith Sevinç Basad

Buchtitel

Schäm dich! Wie Ideologinnen und Ideologen die Welt in Gut und Böse einteilen

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2021

Verlag

Westend Verlag

Seitenzahl

224

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-86489-212-7

Kurzbiographie AutorIn

Judith Sevinç Basad studierte Germanistik und Philosophie und schloss ihren Master mit einer Arbeit über totalitäre Tendenzen in der queerfeministischen Bewegung ab. Sie arbeitete für die Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, die einen geschlechtergerechten und liberalen Islam praktiziert und publizierte u.a. für WELT, FAZ, NZZ und den Autoren-Blog "Salonkolumnisten". Sie lebt als freie Autorin in Berlin.