Anna Stockhammer, Jan

anna stockhammer, janWenn etwas schiefgeht, lautet die alte Frage meist: Liegt es am System oder am Helden? Ein gutes System tut verlässlich alles, um niemanden in es hineinzulassen, aber ein Held im 21. Jahrhundert hat oft auch Ermüdungserscheinungen, so dass es zu keiner heldenhaften Karriere kommen kann.

Anna Stockhammer nimmt die Ur-Situation einer ganzen Generation zum Anlass, um den Praktikanten Jan Winter ordentlich auflaufen zu lassen. Der Ich-Erzähler Jan arbeitet bei einem Magazin als Praktikant. Irgendwie reiben sich Magazin und Held lustlos aneinander ab und gehen sich fallweise aus dem Weg. Da nimmt der Chefredakteur noch einmal väterlich das Heft in die Hand und geht auf Jan zu, um ihn für ein Interview zu animieren.

Ein Freund spielt Jan eine Unterschriftenliste zu, auf der Proponenten für ein Musikprojekt eingetragen sind. Anhand dieser Liste wird der Praktikant ein paar Adressen heraussuchen, um den darin Wohnenden die blöde Frage zu stellen, inwiefern sie die Musik verändert hat.

Irgendwie ist diese analoge Befragung im Streaming-Zeitalter eine grandiose Idee, um der Musik emotional auf die Schliche zu kommen. Jeder Befragte hat irgendein Verhältnis zur Musik und liefert bei dieser Gelegenheit gleich eine persönliche Geschichte mit. So kämpft der eine für den Erhalt eines Musikstudios, eine andere ist mit einem Musiker verheiratet, wodurch die Erotik gleich einmal musikalisiert wird. Musik kennt auch kein Erlebnis-Gefälle zwischen Stadt und Land, wie eine Frau erklärt, die seinerzeit als Kind mit der Oma am Bauernhof gesungen hat.

Meiner Meinung nach ist Musik eine der letzten Sachen auf der Welt, die es noch schafft, eine gewaltige Masse an Menschen zusammenzuhalten. (58)

In dieses sozio-politische Argumentationsfeld passt auch eine Anmerkung, wonach sich gerade nordische Mythen gut mit Musik transportieren lassen. Jan arbeitet tapfer seine Interviewpartner ab, oft hat man den Eindruck, dass diese ihn steuern, denn mehr als dass er Praktikant ist, hat er seinerseits an Inspiration nicht zu bieten.

Während dieser Interviews entgleitet ihm die private Lebens-Chose. Die Freundin Julia wird wahnsinnig, als er auf einen Notruf hin ein Gespräch mit Amanda führt. Privat ist nichts musikalisch-harmonisch, den Helden plagen Selbstzweifel.

Ich bin eigentlich ein Nichtskönner. (70)

Der Abgabetermin für das Magazin rückt immer näher, und obwohl sich Chefredakteur und ein Freund darum kümmern, dass Jan die letzten Interviews abarbeitet, ist dann doch alles umsonst. Das Magazin erscheint ohne den Beitrag von Jan.
Ok, das Praktikum ist ohnehin aus und Jan reflektiert: „Ich habe eine schwache Psyche.“ (151) Er beginnt zu delirieren, indem er ausgiebig und realistisch von einem niederbrennenden Büro träumt. „Ich fühle mich auf einmal so billig.“ (167) Und dann ist die Sache mit Julia wohl aus und nicht gegessen und Jan resümiert mit seinem Freund: „Wir zwei sind doch irgendwie immer fehl am Platz.“

Der Roman zeigt eindrucksvoll, dass der Mythos vom Taugenichts in der Realität nicht funktioniert. Selbst in einer angeblich so feinfühligen Sparte wie der Musik zählt am Ende nur der beinharte Output. Und die Hochgeschwindigkeitsgesellschaft hat keine Zeit, Trödler aufzufangen und im System mitzunehmen. Das Leben ist ein Praktikum, das zu nichts nütze ist. - Eine grandios harte Analyse der Nuller-Generation.

Anna Stockhammer, Jan. Roman
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2018, 192 Seiten, 14,80 €, ISBN 978-3-903125-29-2

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Anna Stockhammer, Jan
Homepage: Anna Stockhammer

 

Helmuth Schönauer, 31-10-2018

Bibliographie

AutorIn

Anna Stockhammer

Buchtitel

Jan

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

192

Preis in EUR

14,80

ISBN

978-3-903125-29-2

Kurzbiographie AutorIn

Anna Stockhammer, geb. 1997, lebt in Wien.