Felix Mitterer, Die Beichte
So wie vergangene Schülerjahrgänge einst lernen mussten, Bert Brecht habe das epische Theater erfunden, werden kommende Jahrgänge lernen müssen, Felix Mitterer habe das chronische Theater erfunden.
Chronisches Theater bedeutet einerseits, dass die Stücke chronisch auf irgendeiner Bühne sind, und andererseits, dass der Stoff aus der allgemeinen Tiroler Chronik stammt. Alles, was einmal im Chronikteil einer Zeitung vorgekommen ist, kann Stoff für ein Stück sein.
Geradezu wundersam aktuell ist Felix Mitterers ?Beichte?, welche gleichsam parallel zu den perversen Vorgängen im Priesterseminar St. Pölten als Theaterstück realisiert worden ist. Das Stück hat bereits als ORF-Hörspiel des Jahres 2003 Furore gemacht und kommt jetzt unter der bewährten Regie des Beicht-Dramaturgen Martin Sailer bei den Volksschauspielen Telfs auf die Bühne.
Die Geschichte ist brutal und knapp. Ein Mann kommt zu einem Priester und will beichten, aber dieser hat selber Dreck am Stecken. Die beiden kennen einander und erinnern sich auf offener Bühne an ihre Zeit als Zögling und Erzieher im Klosterinternat. Die Beichte handelt von einer doppelten Perversion. Einmal ist es der Tatbestand der Kinderschändung der irgendwie im Namen Gottes unter der Tuchent über die Bühne geht, und auf der anderen Seite wird das Element der Beichte pervertiert zwischen öffentlicher Diskussion und inniger Lossprechung.
Der 80-jährige Pater Eberhard und der 50-jährige Martin werden von ihren Sätzen getrieben, schwere Wortfetzen der Machtlosigkeit werden auf die Bühne geschleudert, es ist, als ob ein sechsachsiger Trieb die Figuren durch das Leben gezogen hätte. Wörter, Taten, Religion, Heil und Lehre klaffen jedenfalls vollends auseinander, es entsteht ein Krater, aus dem letztlich faules Zeug gegen Himmel fährt. Und wie in jeder Tragödie wiederholt sich die Geschichte in verschärfter Form, der einst geschändete Zögling hat mittlerweile sein eigenes Kind umgebracht, Rache und Therapie in einem.
Grandios sind bei Felix Mitterer immer die Verspiegelungen und Verschachtelungen der Zeitebenen. Je nach Beleuchtung treten die jeweiligen Zeitgeister in Erscheinung und spielen sich als einzelne Glieder einer nie enden wollenden Verstrickungskette auf.
Im Vorspann erklärt Felix Mitterer seine Betroffenheit, Anlass für sein Stück war ein Skandal in der Irischen Kirche, und da die Bigotterie in Irland und Tirol die gleiche ist, war es nur logisch, den Kinderschänderstoff ins Tirolerische zu transponieren. Die Beichte als chronisches Theaterstück hat durchaus die Strahlkraft, Diskussionsstoff für eine ganze Theatersaison zu versprühen.
Felix Mitterer, Die Beichte. Theaterstück.
Innsbruck: Haymon 2004. 77 Seiten. EUR 10,-. ISBN 3-85218-461-4.
Helmuth Schönauer, 22-07-2004