Wolfgang Hermann, Das Gesicht in der Tiefe der Straße

Buch-Cover

Manchmal springt einen ein Text an und sagt, dass es genau in dieser Form gut und richtig ist.

Wolfgang Hermanns Geschichte vom Gesicht in der Tiefe der Straße ist so ein Buch, kleine Prosazellen fallen wie das Herbstlaub aus den Seiten und alles ist wohlgeordnet, luftig und vergänglich.

Und was für ein Titel! Ein individuelles Gesicht, das offensichtlich in die Tiefe einer Straßenschlucht gefallen ist wird jeweils für einen Augenblick in die Wahrnehmung geholt. Schon die Kapitelüberschriften untereinander gesetzt, ergeben für sich gelesen ein Gedicht über eine unbekannt/bekannte Stadt, hinter der phasenweise Paris steckt.


?Die Stadt / Er / Das Innere einer Landschaft / Sie / Die Insel / Ich / Paare /

Sonnenuntergänge vor Paris? lauten die Leitlinien, an denen sich Figuren durch das amorphe Erlebnisgebilde tasten. Wie in jenem berühmten Brunnengedicht von C.F.Meyer sind Ruhe und Fluss oft in einer einzigen Beobachtung eingefangen.

?Zurück im Ameisenhaufen der Stadt, deren Stimme in ihm fortspricht. Deren Stimme ? niemand spricht sie ? hier ist, nein hier, nein, sie ist hier hier hier. Niemandsstimme im unendlichen Bau der Stadt, Stimme des Läufers in der Menge, Stimme des betrunkenen Legionärs in der Straße der Huren, Stimme des Verrückten an der Ecke, Stimme Stimme Stimme.? (25)

Quasi alle Sinne werden beschworen, sich dieses ungeheueren Erlebnisbergs anzunehmen und ihn irgendwie abzutragen. Ab und zu sind konkrete Kreuzungen oder Straßen angedeutet, aber letztlich gibt es keinen Stadtplan, der diese vagen Geographien festmachen könnte. Außerdem sind die Erzählstandpunkte eher Fließbewegungen als etwas Fixes. So wie Personen im Doppel, als Single, konkretes Du oder Ich wie soziale Rinnsale zwischen den Gebäuden herum wabern.

Die Geräusche beim Bau eines Kanals lösen eine Geschichte aus, jemand verfällt in eine fremde Sprache und in der Ferne plagt sich jemand mit dem Anstarten eines offensichtlich kalten Motors. - Ein gigantisches ?Panta-rei? zischelt durch die Straßen und als Leser staunt man bei geöffnetem Fenster.

Die Texte sind jeweils mit zwei Oberflächen ausgestattet, die eine stülpt sich aus jener magischen Stadt Paris heraus, während sich die andere wie eine zweite
Erinnerungshaut um die Partikel der Stadt des Lesers legt. Jeder Leser nämlich trägt seine eigene Stadt mit sich, die mit diesen wunderbaren kurzen Texttönen zum Klingen gebracht wird.

Wolfgang Hermann, Das Gesicht in der Tiefe der Straße. Momente einer Stadt.
Salzburg: Otto Müller 2004. 157 Seiten. EUR 16,-. ISBN 3-7013-1082-3.

 

Helmuth Schönauer, 26-11-2004

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Hermann

Buchtitel

Das Gesicht in der Tiefe der Straße. Momente einer Stadt.

Erscheinungsort

Salzburg

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Otto Müller

Seitenzahl

157

Preis in EUR

EUR 16,-

ISBN

3-7013-1082-3

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Hermann, geb. 1961 in Bregenz, lebt in Vorarlberg.