Angelika Stallhofer, Stille Kometen

angelika stallhofer, stille kometenLyrik steckt meist schon auf den ersten Blick ein Territorium ab, das mit eigentümlichen Fügungen beschrieben wird, wie man etwa Stadtviertel mit Graffiti markiert. Die lyrischen Signale zeigen den Eingeweihten sowohl Tageslosung als auch Zukunftsprogramm, während Außenstehende die Wort-Zeichen wie Piktogramme lesen, denen keine unmittelbare Handlung folgt.

Angelika Stallhofer nennt ihre Gedichte-Sammlung „stille Kometen“, sie weitet ihr Wortrevier aus, indem sie ins Universum blickt, aus dem heraus vielleicht lautlos Kometen einschlagen. Von dieser Konstellation stiller Kometen ausgehend erhält auch die Wortkette mit den fünf Kapitelüberschriften eine erste Deutungsmöglichkeit: Brennen, Wasserstellen, Surren, Schlingen, Schwebebahn. Die Begriffe erzählen eine Geschichte, wie es Objekte in einer Galerie tun, wenn sie hintereinander abgegangen werden und sich bei den Flanierenden zu einem individuellen Ereignis verdichten.

Brennen nimmt einen Zustand auf, in dem die Haut beschädigt ist durch Verletzung, Sonne oder toxische Übergriffe. Das erste Gedicht-Paar lässt sich als „aufgeschlagenes Buch“ lesen, worin das Konzept erläutert ist. „Alles / Wunde“ heißt das plastische Ereignis, wenn die beiden Einzelteile gleichzeitig gelesen werden. Dabei wirken die Gedichte wie ein Medikament gegen dieses Brennen. „Ich bin allein / aber die Steine sind da // zusammen / sind wir still“ (8) | „Vorsichtig / setze ich / ein Wort / vor das andere“ (9).

Mit dieser Empfindungsmatrix im Rücken registriert das Subjekt sogenannte Umlaufbahnen, die jäh beendet irgendwo einschlagen. Die Lungen im eigenen Körper sind wie Trabanten um das Ich angelegt, ein Lied ermöglicht es, Kontakt zwischen den einzelnen Brennstäben herzustellen. In einer Flut von Bedrängnis hilft vielleicht das Gehen auf Stelzen, „ich bin nicht gut darin, auf Stelzen zu gehen, doch es läuft besser als erwartet“. (18)

Einmal auf Stelzen unterwegs erkennt man erst, wo überall Wasser ist und wo es fehlt, „Worte // diese Wasserstellen“ erinnern an Überlebenscamps, wo ein kleiner Wasservorrat angelegt ist, um so große Dinge hinzukriegen wie die Nacht, die eigene Herkunft oder gar den „roten Faden“ für die Zukunft, den es freilich nur als Wortschöpfung gibt.

Das mittlere Kapitel ist mit Surren „beschriftet“, dabei geht es um Impulse, die erst durch das lyrische Subjekt abgeschmeckt, registriert oder einer physikalischen Große zugeordnet werden. Salz und Zucker etwa sind erst als solche zu erkennen, wenn sie gekostet sind. Vielleicht lässt sich mit den Menschen ähnlich umgehen, sodass das lyrische Ich vorerst einmal als Beutegreifer herumschwirrt, ehe es eingreift mit Fragen, Härte oder Widerstand.

Was macht der Wind / wenn er nicht weht // er windet sich. (35)

Das Kapitel Schlingen sollte man sich als ausgelegte Erlebnisfallen vorstellen, es sind Urlaubsorte, Küsten, Bilder oder einfach Orte wie Triest oder Via Apia, die eingefangen und begutachtet werden. Zwischendurch werden die Gedichte zu Selfies, aus denen sich das Ich hinausgeschlichen hat.

Ins letzte Kapitel „Schwebebahn“ ist schließlich das Titel gebende Gedicht von den stillen Kometen eingenäht wie in einem Versteck für die Reisedokumente. „Wer liebt schon / die stillen Kometen / den glatten Stein / die fahrige Bahn / das Zickzack der Hände / das Scherengeschlecht / die Spitzen / ungebundener Enden“ (57).

Funktionierende Lyrik lässt sich mit einem Erkundungsmodell vergleichen, an dem sich Autorin und Leser synchron erproben. Der Lyrikband wird dann zu einer Schleuse, durch die in der Hauptsache Zeit fließt, indem sie für Augenblicke stillsteht.

Der angebotene Empfindungsbogen vom Brennen über die Schlingen bis hin zum Schwebezustand bietet Navi-Punkte an, an denen sich die Welt kurz berühren lässt, wie ein unauffälliger Komet, der vorüberfliegt und gleichzeitig einschlägt.

Angelika Stallhofer verdichtet diese Navi-Punkte zwischendurch zu einer Erkenntnis, wie sie sonst höchstens in bewährten Sprichwörtern zusammengeknotet sind. „Zum Luftholen / musst du / abtauchen“, heißt es im Paradoxon (37) lapidar.

In diesem Stil sind auch die Illustrationen von Andrea Zámbori gehalten, einprägsame Piktogramme, die als Wegzeichen auf einem unsichtbaren Pfad aufgestellt sind. Eine Figur steht Hüft-abwärts auf Stelzen und ringt mit dem Wasser. Mit diesen Grundmotiven ist die Welt der stillen Kometen bestens illuminiert.

Angelika Stallhofer, Stille Kometen. Gedichte, mit Illustrationen von Andrea Zámbori
Wien: edition ch 2022, 74 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-901015-76-2

 

Weiterführende Links:
Edition ch: Angelika Stallhofer, Stille Kometen
Literaturhaus: Angelika Stallhofer

 

Helmuth Schönauer, 29-05-2022

Bibliographie

AutorIn

Angelika Stallhofer

Buchtitel

Stille Kometen. Gedichte

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition ch

Illustration

Andrea Zámbori

Seitenzahl

74

Preis in EUR

15,00

ISBN

978-3-901015-76-2

Kurzbiographie AutorIn

Angelika Stallhofer, geb. 1983 in Villach, lebt in Wien.

Andrea Zámbori, geb. 1986 in Ungarn, lebt in Neu-Ulm.