Fatou Diome, Der Bauch des Ozeans

Buch-Cover

Die Götter spielen Fußball und sind Franzosen. Das erste, was Jugendliche auf einer kleinen Insel vor Senegal wahrnehmen, ist der Glückskosmos Frankreich.

In einer jämmerlichen Flimmerkiste schauen sie den Helden zu, die bei der Weltmeisterschaft ihr Programm herunterspielen, aber das Ergebnis bleibt rätselhaft, denn beim Elferschießen kommt Regen auf, der Fernseher bricht zusammen und der Endstand bleibt ungewiss. So ruft der Junge Madicke seine Schwester in Frankreich an, damit er wenigstens ein Ergebnis weiß, wenn schon die Träume ungewiss sind.

Fatou Diome hat ihre Figuren in zwei Kulturfeldern ausgestreut, die einen sitzen im Fischerdorf in Senegal und die anderen flüchten zwischendurch nach Frankreich, versuchen ihr Glück und kehren verschämt und abgebrannt in ihre Heimat zurück.

Die Erzählerin Salie schafft es irgendwie, weil sie die passende Sprache und die notwendigen Geschichten dafür hat, außerdem ist sie belesen und Schriftstellerin. Sie lebt schon einige Zeit in Frankreich, wenn sie als Urlauberin ins Heimatdorf zurück fährt, fällt es ihr wie Schuppen von den Augen.

Da gibt es den Macho, der nach jeder Reise eine neue Frau heiratet, bis der Schwindel auffliegt, dass er es in Wirklichkeit zu nichts gebracht hat. Der Melancholiker Moussa hält gar seine Demütigung nach der Rückkehr nicht mehr aus und geht in den Bauch des Ozeans zu den alten Sagen, sein Selbstmord wird wie ein Teil einer notwendigen Erlösungsgeschichte hingenommen.

Zwar kommt der Wohlstand in skurrilen Fragmenten nach Senegal, es genügt etwa der kurze Besuch auf einem Gymnasium, um die Telefonanlage des Dorfes zu übernehmen, aber die Gemüter sind noch in einer völlig alten Zeit. "Man müsste die Pille in Form von Reiskörnern ausgeben, damit sie die Frauen nehmen", heißt es einmal recht resignativ. Und in Frankreich zerplatzen die Träume oft schon bei der Einreise. Wenn die Papiere nicht stimmen, geht es noch am gleichen Tag zurück.

Fatou Diome erzählt witzig und als gebranntes Kind von den Träumen, die in Afrika aufgekocht werden und in Frankreich anbrennen. So lange die Bilder vom Glück irreal sind, wie die Geschichten vom Bauch des Ozeans, gibt es nur Ernüchterung und Scheitern. Höchstens Bildung und Witz können die Kluft zwischen den Kontinenten fürs erste überwinden.

Fatou Diome, Der Bauch des Ozeans. Roman. A. d. Französ. von Brigitte Große. [Orig. La ventre de l?Atlantique, 2003]
Zürich: Diogenes 2004. 220 Seiten. EUR 18,40. ISBN 3-257-86112-5.

 

Helmuth Schönauer, 26-12-2004

Bibliographie

AutorIn

Fatou Diome

Buchtitel

Der Bauch des Ozeans

Originaltitel

La ventre de l‘Atlantique

Erscheinungsort

Zürich

Erscheinungsjahr

2004

Verlag

Diogenes

Übersetzung

Brigitte Große

Seitenzahl

220

Preis in EUR

EUR 18,40

ISBN

3-257-86112-5

Kurzbiographie AutorIn

Fatou Diome, geb. 1968 in dem sengalesischen Fischerdorf Niodior, lebt seit zehn Jahren in Straßburg.