Martin Troger, Ein Einzelzimmer bitte

martinf troger, ein einzelzimmer bitteSammlungen mit Geschichten haben ihre Initialzündung entweder als Schüttgut, als Chronik oder als thematische Verklumpung.

Martin Troger lässt sich mit seinen „Paargeschichten“ von allen drei Möglichkeiten anregen. Seine Sammlung „Ein Einzelzimmer bitte“ ist vorerst einem Wettbewerb des Projekts ZOOM ED geschuldet, darin werden Erstpublikationen von Literaturschaffenden aus Südtirol und den angrenzenden Gebieten gefördert. Für das Projekt hat der Autor 21 Geschichten aus der persönlichen Schütte ausgewählt und klug aufgefädelt. Einmal auf die Spur gesetzt, entdeckt man als Lesender tatsächlich die inneren Zusammenhänge zwischen den Geschichten, die vage auf den Begriff „Paar“ kalibriert sind.

In der titelgebenden Szene kehrt ein Held nach einer verlorenen Beziehung wieder in die „Paar-tner-Stadt“ zurück, in der er einst auf Geheiß der Eltern zwecks Sommerfrische mit ihnen abgestiegen ist. Aus der Urlaubssituation mit Meerblick ergibt sich tatsächlich bald eine Verbindung zu einem einheimischen Mädchen. Daria und Günther nehmen sich sogar eine gemeinsame Wohnung, die offenbar unter dem Bogen einer Autobahnbrücke liegt. Beziehung, Wohnung und Autobahn scheinen brüchig zu sein, denn immer wieder liegen Brocken der Brückenkonstruktion auf dem Asphalt, wenn sie ihr Auto aufsuchen, das sie vorsichtigerweise außerhalb des Wirkungsbereichs der Brösel-Brücke abgestellt haben.

Das Paar ist offensichtlich eingekreist von Brüchigkeit. Interessant ist bei solchen Konstellationen immer, wer die Beziehung erzähltechnisch überlebt. In diesem Fall ist es Günther, der noch einmal in die Stadt zurückkehrt, obwohl offensichtlich schon alles aus ist. Er nimmt sich im Hotel „Ein Einzelzimmer bitte“ (51) und ist erstaunt, über die Radikalität dieser Bestellung. Aber gleichzeitig liefert diese Klarheit auch den Impetus, die Sache mit dem fragilen Paar noch einmal zu reflektieren und vielleicht als Geschichte mit Sollbruchstelle weiterzuerzählen.

Eine ähnliche Verquickung zwischen Absicht der Geschichte und Schicksal des Helden tut sich in der Erzählung „Eberers letzter Fall“ (32) auf. Der Plot ist rund um die standardisierte Stelle in Krimis gewickelt, wenn der Ermittler voller Gram den letzten Fall abarbeitet und mit einem Auge schon ins Leere, sprich in die Pension blickt.

Wir haben es mit Eberer, einem Ermittler in einer Provinzstadt, zu tun, der das Büro schon geräumt hat, um die Rente anzutreten. Jetzt im Abgang verhört er noch einen Mann, der mutmaßlich die eigene Frau ermordet hat. Der Ermittler ist selbst dreimal verheiratet gewesen, oder fühlt sich zumindest so. Jedenfalls hat er Verständnis mit jedem Motiv des Verdächtigen, denn es ist manchmal pures Glück, wenn man Beziehungen ohne Mord beenden kann. Im Idealfall geht man anschließend in Rente.

Im Kriminalmilieu einer Kleinstadt spielt die Geschichte „Ein paar Schritte voraus“ (91). Ein Kleinbürgerpaar, sie Polizistin, er Schuhgeschäftsinhaber, liefert an Wochenenden die Kinder bei den Eltern ab, um während eines Spaziergangs die Ereignisse der Woche durchzugehen. Je nach Problemlage geht der eine oder die andere dabei ein paar Schritte voraus. Dieses Mal kommen sie am Aussichtsturm vorbei, an dem sich vergangene Woche ein Mord im Burschenschaftsmilieu abgespielt hat. Die Polizistin ist noch zu erregt vom Fall, sodass sie auch privat noch nicht abschalten kann. Sie sucht Spuren eines zerstörten Denkmals, das auf einen früheren Mord hinweisen soll.

In einer Melange von Gehen, Ausrufen und Anfraß, die ein wenig an die „Baumgrenze“ von Thomas Bernhard erinnert, absolviert das Paar den Spaziergang. Dabei ist alles in Schwebe, das Schuhgeschäft ist kaputt, die Stimmung in der Provinzstadt gewalttätig, die braune Suppe der Zeitgeschichte frisch aufgeschäumt.

Die Schritte voraus erweisen sich als untauglicher Versuch, etwas zu antizipieren. Denn was immer der eine auch vorausdenkt, es liegen immer Distanzen dazwischen, die vom anderen nicht überwunden werden können.

Zwischen diese größeren Paar-Blöcke sind ein Dutzend kleiner Szenen eingestreut. In der ersten Geschichte etwa verdunstet eine Partnerschaft durch Alzheimer. Sie sitzt im Heilgarten der Anstalt und kann sich an nichts mehr erinnern. Hoffnung keimt auf, als er fragt, ob man Eichkätzchen oder -hörnchen sagt. Die Antwort ist wie bei Paar-Gesprächen enttäuschend: Beides kann man sagen.

Die literarische Form des „Liebesduetts“ scheint nur auf den ersten Blick ein Ausweg zu sein. Losgelöst von Zeit, Raum und Körper reflektiert ein Paar über den Fall, der sie beide in einer Schlucht zu Tode gebracht hat. Jetzt sind sie nur mehr Geister und flüstern einander Liebesbezeugungen und andere Affirmationen zu, die von niemandem gehört werden und eigentlich für die Wäsch sind.

An einem Ententeich lernen Kinder das Sozialverhalten der Tiere, wenn diese Schwimmrudel bilden oder in einer Kette der Mutter folgen. Eine Erziehende fragt ihr Kind, wie die Enten machen. – Keine Antwort.

Wie so oft in der Literatur kommt die Antwort an völlig unerwarteter Stelle. In der letzten Geschichte wird das große Rätsel der Beziehungen gelöst: „Die Ente sagt Quak!“ (113) (südtirolerisch ausgesprochen: Guag.)

Martin Troger erzählt hinter einem Schutzschirm abgebrüht von den Situationen und Verwerfungen, denen die Paare ausgeliefert sind. Jeder Eingriff wäre sinnlos, weshalb er die Bruchstücke und Haarrisse der auf glatt polierten Beziehungsoberflächen sorgfältig mit erzählt. Das Ergebnis gleicht einem Traum, der spätestens am nächsten Tag zusammenbricht, wenn er zwischen Partnern im Alltag erzählt wird.

Er hatte ihr erzählt, dass er in einem großen Raum in einer Villa vor einem Wolf gestanden habe. (11)

Martin Troger, Ein Einzelzimmer bitte. Paargeschichten
Bozen: Edition Raetia 2022 (= ZOOM ED), 125 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-88-7283-852-5

 

Weiterführende Links:
Edition Raetia: Martin Troger, Ein Einzelzimmer bitte
Südtiroler Autorinnen- Autorenvereinigung: Martin Troger

 

Helmuth Schönauer, 05-11-2022

Bibliographie

AutorIn

Martin Troger

Buchtitel

Ein Einzelzimmer bitte. Paargeschichten

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Edition Raetia

Reihe

ZOOM ED

Seitenzahl

125

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-88-7283-852-5

Kurzbiographie AutorIn

Martin Troger, geb. 1982 in Bozen, lebt als Bibliothekar in Wien und Bad Vöslau.