Greta Lauer, Gedeih und Verderb
Brutalen Begriffspaare wie Gedeih und Verderb kann man nur mit noch härteren Gegensätzen begegnen, will man als Individuum seinen persönlichen Touch in die Diskussion des Unglücks einbringen.
Bei Greta Lauer fügt die Heldin dem Titel „Gedeih und Verderb“ gleich ein adäquates Handlungspaar hinzu: Schau – Nimm! Diese beiden Befehle strömen auf eine Ich-Erzählerin ein, die nichts anderes im Sinn hat, als sich in der Welt zurechtzufinden und einen Ausgang zu finden aus dem Dorf-Labyrinth, das sich wie enthemmte Darmschlingen um ihre Psyche gelegt hat.
Schon die ersten Eindrücke sind niederschmetternd. Großmutter zerlegt irgendwelche Vögelchen und schneidet ihnen die Kelchen auf, damit nichts Falsches gezwitschert wird im Dorf. – Vielleicht werden auch Nahrungsmittel daraus gemacht, immerhin werden die eingekochten Fasern in Rexgläser konserviert für eine Zeit, wo es keine Vögel mehr gibt.
Eine kleine Richtungsänderung in den Wortbedeutungen hat das Dorf heimgesucht, die Vorgänge sind gespeist aus einer archaischen Paste, mit der das Zusammenleben fixiert werden soll. Aus den Schlachtabfällen entsteht Geschichte, Dorfhäute werden aus Mägen genäht, Innereien in den Wind gehängt als Fahnen, und in den Rexgläsern wird alles gespeichert, was ein Archiv aufzubewahren vermag.
Das Kind beobachtet das alles, „schaut und nimmt“. Vor allem nimmt es Gefühle auf, die leicht zusammenbrechen, sobald man sie in die Hand nimmt. So stirbt aus der Sicht des Kindes Mutter ihren ersten Tod, als sie in das Krankenhaus fährt und als neue Frau mit einem Brüderchen im Arm zurückkommt. Dieser neuen Mutter ist die Heldin jetzt abermals ausgeliefert auf Gedeih und Verderb. (23)
Die Großmutter empfängt das Brüderchen mit einem schwermütigen Song, der in einer fremden Untergrund-Sprache gesungen wird. Erst als eine Strophe auf Deutsch auftaucht, weiß das Kind, worum es geht – „Brüderlein komm tanz mit mir“. (25)
Aus dem Alltag heraus entwickeln sich seltsame Bräuche, die Vergangenheits-lüstern für die Gegenwart ohne Bedeutung zelebriert werden. Der Pfarrer spielt mit seinem Klingelbeutel (36), in den man fallweise Geld einwerfen kann, der aber auch im Umgang mit Knaben ein gutes Spielzeug ist.
Das Kind wird erwachsen und beginnt zu menstruierten, das Blut wird von der Großmutter gesammelt und ins Dorfarchiv im Keller zu den anderen Rexgläsern hinzugesellt. Das Kind sagt das erste Mal „Ich“ (40), als es spürt, dass etwas Großes „mit mir“ geschehen ist.
Auch die Buben leisten ihren Beitrag zur Dorfgeschichte, zu feierlichen Anlässen wird regelmäßig ein Dorfbubenpenis (41) aufgestellt.
Die Erzählweise der Großmutter wechselt in den Ton einer strengen Chronik über, die beinahe erwachsenen Heldin erschrickt über diese Sätze, die als Hammerschläge auf sie einstürzen.
Das Vergangene ist gefrorene Gegenwart. (44)
Das Dorf zieht sich in die Häuser zurück. (46)
Visite. Die Ärztin sagt: Gut. Ich starre sie an. (55)
Teile der Pubertät müssen im Krankenhaus verbracht werden, das Leben im Dorf wäre zu gefährlich. Zu spitz sind zwischendurch die Sätze, die wie Pfähle in die Tage gerammt sind.
Großmutter achtet darauf, dass die Nabelschnur zur Vergangenheit nicht reißt. „Wir steigen in das Archiv hinunter.“ (65) Das kann den nächsten Krankheitsschub auslösen, im besten Fall wird nur ein Rexglas aus dem Keller ins Tageslicht zurückgeholt.
Das Leben verläuft im erstarrten Modus, einmal taucht die „Plötzlich-Formel“ auf, bei denen der Puls der Leser sofort in die Höhe schnellt. „An diesem Tag geschah etwas.“ (67) Aber das ist es dann auch schon, es geschieht nämlich nichts, wenn die Sinnesorgane heruntergefahren sind.
Die Hauptbetätigung spielt sich als regloses Liegen auf der Matratze ab. Es ist schon wieder Klinikzeit und am Gang gibt es eine kleine Begegnung mit einem Jungen, der wohl an einem ähnlichen Schicksal leidet. Sie tauschen Schmuckästchen aus, das sind wertvolle Wörter ohne Sinn.
Wieder in der allgemeinen Welt zurück, stellen sich die Betriebsanleitungen für ein glückliches Leben als sinnlos heraus. „Die Rede schimmelt in meinen Ohren.“ (94) Das Ende wird dramatisch, mit einer Fliege als Hoffnungsschimmer.
Und dann bin ich auseinandergefallen. (99)
Die Heldin löst sich in Einzelteile auf, das Dorf ist inzwischen verwaist, die Erzählerin geht in den Fluss, wie es in Romanen dieser melancholischen Art üblich ist. Aber der Fluss ist längst gezähmt und eher ein Badeteich. Eine Freundin sitzt am Uferrand des Sommers, und eine Eintagsfliege spricht die Einladung aus, es in der hohlen Hand kribbeln zu lassen.
Greta Lauer erzählt mit klaren Sätzen, wie es letztlich eine völlig andere Sprache braucht, will man als Dorfmensch dem Filz der Vergangenheit entkommen. – Eine typisch kärntnerische Dorfanalyse, könnte man meinen, eingerahmt vom „Geometrischen Heimatroman“ des Gert Jonke und dem „Menschenkind“ des Josef Winkler. Und die Erzählkraft der Greta Lauer kann mit den beiden Großen durchaus mithalten.
Greta Lauer, Gedeih und Verderb. Roman
Wien: Luftschacht Verlag 2023, 108 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-903422-19-3
Weiterführende Links:
Luftschacht Verlag: Greta Lauer, Gedeih und Verderb
Homepage: Greta Lauer
Helmuth Schönauer, 02-04-2023