Ruud Koopmans, Die Asyl-Lotterie
„Niemand, der ein Mindestmaß an menschlichem Mitgefühl besitzt, würde bestreiten, dass wir ein Asylrecht brauchen, das eine Wiederholung des schrecklichen, für viele tödlichen Unrechts ausschließt, das jüdischen Flüchtlingen in den 1930 er-Jahren angetan wurde. Leider erfüllt das geltende europäische Asylrecht diesen moralischen Anspruch nicht einmal annähernd.“ (S. 9)
Ruud Koopmans setzt sich mit der Asylpolitik der letzten zehn Jahre auseinander und zeigt Ursachen, Folgen und mögliche Lösungen auf. Dabei kritisiert er die gegenwärtige Asylpolitik als eine Art „Lotterie auf Leben und Tod“, weil sie eine hohe Anzahl an Toten zur Folge habe und vor allem jene vernachlässige, die Hilfe am dringendsten benötigen würden.
Kapitel 1 nennt „Zehn Gründe, warum das europäische Asylregime todkrank“ ist und verweist auf den Umstand, dass all jene, die es schaffen die EU-Grenzen zu überwinden, zu den Gewinnern des derzeitigen Asylsystems zählen. Im Vorteil sind dabei vor allem junge gesunde Männer, die über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, um sich die Schlepper zu leisten, mit deren Hilfe sie illegal in die EU einreisen. Die Chancen der Schwächsten - Ältere, Frauen und Kinder - stehen hingegen schlecht.
Weiters wird kritisiert, dass das europäischen Asylsystems eine immense Anzahl an Toten zur Folge habe, die auf ihrem Weg über das Mittelmeer um Leben kommen. Im Hinblick auf die Aufnahmeländer wird darauf hingewiesen, dass gerade Erstaufnahmeländer bei der Migration im Stich gelassen werden und viele Länder unter einer Überbelastung der Aufnahmekapazitäten und der schwierigen Integration einer großen Anzahl von Flüchtlingen leiden, was eine Radikalisierung der Politik hervorrufe.
Nach einem Rückblick auf die Ursachen und die Entwicklung der massiven Flüchtlingsbewegung seit 2015, die mit der Migration verbundenen Hoffnungen in der Wirtschaft auf der einen Seite und der zunehmenden Terrorgefahr wirft Koopmans einen Blick auf die Kriminalitätsstatistik der letzten Jahre, die zeigt, dass in Deutschland Flüchtlinge als Straftäter deutlich überrepräsentiert sind.
Koopmans widerspricht dem Vorwurf, dass sich bei der Flüchtlingspolitik nach der großen Flüchtlingswelle zu Beginn des Ukrainekrieges eine „Zweiklassengesellschaft der Flüchtlinge“ gezeigt habe. Verglichen mit der Flüchtlingswelle 2015, wo die Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan nach Europa gekommen seien, habe es sich hier um eine Flucht aus einem Nachbarland der EU gehandelt.
Im letzten Kapitel „Eine realistische Utopie“ wird versucht, ein effizienteres und humaneres Asylsystem auszuarbeiten. Dabei soll das individuelle Asylrecht für nichteuropäische Nachbarstaaten durch humanitäre Kontingente ersetzt werden. Zusätzlich sollen über die Botschaften humanitäre Visa ausgestellt werden können, mit deren Hilfe politische verfolgte Menschen in die EU einreisen dürften.
Das Flüchtlings- und Asylrecht ist nicht für Wirtschaftsmigration gedacht, weshalb in diesem Bereich neue Wege anzudenken und Rücknahmeabkommen im Bereich der illegalen Einwanderung wesentlich sind. Insgesamt plädiert Koopmans für mehr Realismus in der Asylpolitik.
Das Sachbuch „Die Asyl-Lotterie“ wirft einen kritischen Blick auf die Asylpolitik der EU in der Gegenwart und zeigt nachdrücklich ihre Schwachstellen und Gefahren auf. Dabei kommen die zahlreichen Gefahren für Flüchtlinge ebenso zur Sprache wie die Probleme für die aufnehmenden Gesellschaften.
Das überaus lesenswerte Sachbuch bietet eine interessante und kritische Diskussionsgrundlage jenseits eines polarisierenden Blicks auf die Flüchtlingsproblematik, der sich in den letzten Jahren zunehmend ausgebreitet hat.
Ruud Koopmans, Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg, 16 Grafiken
München: C.H. Beck Verlag 2023, 269 Seiten, 26,80 €, ISBN 978-3-406-79738-5
Weiterführende Links:
C.H. Beck Verlag: Ruud Koopmans, Die Asyl-Lotterie
Wikipedia: Ruud Koopmans
Andreas Markt-Huter, 11-09-2023