Thomas Sautner, Nur zwei alte Männer

thomas sautner, nur zwei alte männerBegonnen ist bald einmal etwas, aber die wahre Kunst zeigt sich beim Aufhören. Thomas Sautner lässt in seinem schelmisch leichten Altersroman zwei Künstler vor unseren Leseaugen ausgeistern. Wie im Märchen sitzen „nur zwei alte Männer“ in ihren zwei Villen in einer ruhigen Vorstadtgegend, alles ist ihnen zu groß geworden, Wohnung, Hosen, Gedanken.

Die beiden Helden treten sparsam auf wie für ein Kammerstück des Fade-out. Joseph Wasserstein hat als ehemaliger Starfotograf die Welt gesehen und beinahe ikonenhaft ins Bild gesetzt, der Nachbar Hakim Elvedin ist gefeierter Tänzer und lässt seinen Körper nur noch für sich und mit sich auftreten. Die Künste von Bild und Bewegung ziehen sich aus ihren Künstlerprotagonisten quasi zurück.

Das Endstück erfährt zwei Aufregungen, indem einmal eine gewisse Julia Stern auftritt und aus dem Nachlass des Fotografen eine Kunstausstellung kuratieren will, zum anderen durch ein Kofferradio, aus dem eine Zeitlang eine außerirdische Stimme namens „Malina“ Botschaften vom Untergang der Welt herausplärrt.

Der Roman gibt vor, dass die beiden Teile eine Art Dynamik ergeben könnten, aber in Wirklichkeit spiegelt Teil zwei nur Teil eins, – ab einem gewissen Alter der Protagonisten gibt es beim Erzählen keinen Fortschritt mehr. Ausdruck dieser Nullaussage ist der Trick, die beiden Teile jeweils mit dem Kapitel Null zu beginnen.

Der in Damaskus geborene leichtfüßige Tänzer und der in Wien geborene grantige Fotograf haben naturgemäß verschiedenen Zugänge zum Leben. Während der Raunzer jeden Tag vor dem Aufstehen überlegt, was ihm wehtun könnte, überlegt der Tänzer beinahe im Bett hüpfend, was sich für den Körper heute noch ausgehen könnte.

Krankheitsüberlegungen sind meist bedrückend, auch für die Leser, aber dem Fotografen steckt vor allem die Alterswut in den Knochen, je größer der Tagesfrust umso abgerundeter die Tageskrankheit.

Eine bemerkenswert wütende Szene spielt der Alte mit sich durch, als er über sein kaputtes Genital herzieht, das nicht einmal zum Abfaulen geeignet ist. Von den Eiern gar nicht zu reden, die beim Aufwachen leer neben seinen Beinen liegen. (131)

Dabei ist dieses Genital offensichtlich in früheren Zeiten einmal passabel im Einsatz gewesen, die Kuratorin Julia nämlich ist seine Tochter, wie sie uns Lesern bereits verraten hat. Während sie mit dem Vater die Fotos durchgeht, überlegt sie, ob sie sich zu erkennen geben soll. Unter den Fotos ist nämlich eines dabei, das ihre Mutter als Schatten neben dem Vater zeigt. Es kommt zu einem überirdisch heftigen Blick zwischen den beiden. Und selbst das Foto gerät in Bewegung und blickt flehentlich zurück. Doch dann ist die Szene vorbei, und alle, auch die Leser, wissen, dass man Dinge nicht aussprechen soll, wenn sie eine Umschreibung des Lebensnarrativs nach sich ziehen.

Der Tänzer ist inzwischen mit seinen Katzen beschäftigt, es macht keinen Unterschied, ob er die Lebensfreude ihnen erzählt oder sich selbst. In der Literaturkunde könnte man hier von einem „äusseren Monolog“ sprechen. (Als Unterschied zum inneren Monolog bei Arthur Schnitzler.)

Das Gartentrio sitzt mittlerweile regelmäßig zusammen und lässt die Zeit in Binsenweisheiten an sich vorbeistreichen.

Da tritt im Kofferradio eine Stimme auf, der sie den Namen Malina geben, wahrscheinlich aus Ehrfurcht für Ingeborg Bachmann, die einst einen epochalen Roman dieses Namens geschrieben hat. Seither werden rätselhafte Stimmen gerne Malina genannt.

Diese Stimme hat etwas Pandemisches an sich, sie fällt offensichtlich über die ganze Welt her und versetzt die Menschen in Aufruhr und Schrecken. Die Sätze sind freilich so orakelhaft gehalten, dass jeder für sich einen gewissen Wahrheitsgehalt ableiten darf.

Offensichtlich hat ein irdischer Jemand der außerirdischen Stimme Fragen vorgelegt, so dass sich eine rätselhafte Konversation auftut, wie wenn alte Leute im Garten sitzen und sich gegenseitig die Zeit vertreiben.

„Warum seid ihr zur Erde gekommen? - Ihr seid unsere Kinder. Wir wollten euch nahe sein.“
„Wie entstand das Universum? - Auf ähnliche Weise, wie ihr Dinge und Systeme erfindet, entstanden auch eure Welt und alle anderen uns bekannten Welten.“ (145)
„Warum seid ihr zu uns gekommen? - Um euch zu sagen, dass ihr nun alt genug seid, selbst zu wissen.“ (148)
„Was ist euer wichtigster Rat an uns? - Erkennt, wer ihr seid.“ (149)

Die Weisheit der Außerirdischen aus dem Kofferradio deckt sich mit jener der alt gewordenen Künstler. Das Universum der Weisheit hat sich in alle Richtungen hin mit sich selbst vereint.

Die zwei alten Männer beschließen, ihre Gräber aneinander zu betten wie jetzt die Gärten zusammengewachsen sind. Der Fotograf stirbt beim Rasenmähen, der Tänzer hat einen schweren Unfall und muss die Katzen außer Haus geben, ehe er dem Nachbarn auf den Friedhof folgen kann.

Von den Außerirdischen und ihrem Luftschiff gibt es kein scharfes Foto, wie auch nicht von Vater, Mutter, Tochterkind.

So leicht kann einem das Altern fallen, wenn man rechtzeitig aus der aktiven Kunst aussteigt.

Thomas Sautner, Nur zwei alte Männer. Roman
Wien: Picus Verlag 2023, 176 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-7117-2132-7

 

Weiterführende Links:
Picus Verlag: Thomas Sautner, Nur zwei alte Männer
Wikipedia: Thomas Sautner

 

Helmuth Schönauer, 28-02-2023

Bibliographie

AutorIn

Thomas Sautner

Buchtitel

Nur zwei alte Männer

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2023

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

176

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-7117-2132-7

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Sautner, geb. 1970 in Gmünd, lebt im Waldviertel.