Annemarie Regensburger, Wellenspiel

Buch-Cover

Eine berüchtigte Prüfungsfrage in biologischen Muskelszenarien lautet: Längs-oder quergestreift?

Wollte man dieses Unterscheidungsmerkmal für die Lyrik anwenden, so handelt es sich bei Annemarie Regensburgers Wellenspiel eindeutig um längsgestreifte Gedichte.

So was von längsgestreift lässt sich sehr selten in der Lyrobotanik antreffen, jedes Wort macht eine ganze Zeile und so gleichen die Gedichte graphisch gesehen Zapfenrechnungen, die immer gut ausgehen. Wenn die Wörter zusätzlich noch in drei Sprachen knapp siebzig Seiten lang zusammen gepresst werden, entstehen unendliche Listen. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie das vorgelesen klingt.

Es dürfte schon ziemlich in die Nähe eines Telefonbuchvortrags von Helmut Qualtinger herankommen, freilich ohne die tschechischen Namenswürzen. Im Wellenspiel geht es um Wind, Wellen, Meer und Wolken, also das Standardprogramm von Saint-Exupery, freilich etwas schlichter und Tirolerischer ausgeführt.

Da eine Aneinanderreihung von Hauptwörtern keine Mundartgrammatik nach sich zieht, beschränkt sich die Transkription in die Mundart auf das pure Umschreiben von Umlauten. Also ?versäumt? wird in ?versaumt? umgeschrieben, und schon ist es Mundart. Dem Ablauf der Gedichte ist es egal, wie ihm geschieht, es tut sich weder in Mundart noch in Schriftsprache etwas, mag sein, dass im Italienischen etwas herauskommt, was aufregend ist.

?Unglück / Am ersten Tag den Knöchel verstaucht, eine ganze Urlaubswoche versäumt, gewartet, anstatt gerastet.? (13)

Spontan empfiehlt das heftige Fanherz hier ein ?ausgerastet?, aber leider muss der normale Leser lesen und darf nichts lektorieren. Das Unglück überzeugt, wenn man es genau nimmt. Denn nicht nur der Knöchel ist offensichtlich aus dem Leim gegangen, auch die anschließende lyrische Verarbeitung des Vorfalls bringt das Unglück nicht mehr von der Rampe. Schildkröten, Poseidongarten, Meer, Blick, Glitzerstern.

Wellenspiel heißt dieses Poesiealbum voller mundartelnder Begriffe vermutlich deshalb, weil man es in Wellen durchblättert. Was es bedeutet, einen eingeklemmten Ischiasnerv zu besitzen, davon künden schließlich die Gedichte von Ischia. Sagen wir so, als verbales Album eines Kuraufenthaltes ist dieser dreisprachige Gedichtband recht imposant, als Literatur in einem miniregionalen Sinn schon eher weniger.

Wenn man sich dann noch vorstellt, dass die Autorin aktuell bestellte Literaturkuratorin der offiziellen Landeskultur ist, dann liest man mit Hingabe zwischen den Zeilen dieser Gedichte, was letztlich von offiziösen Kulturkreisen in diesem Land gewünscht und goutiert wird.

Annemarie Regensburger, Wellenspiel. Gioco di onde. Ischia ? Isola Verde. Gedichte ? Poesie. Dreisprachige Ausgabe: tirolerisch / deutsch / italienisch. Ital. Übersetzung von Oscar Pernwerth.
Neckarsteinach: Edition Tintenfaß 2005. 70 Seiten. EUR 12,90. ISBN 3-937467-07-6.

 

Helmuth Schönauer, 26-01-2005

Bibliographie

AutorIn

Annemarie Regensburger

Buchtitel

Wellenspiel. Gedichte – Poesie

Originaltitel

Gioco di onde. Ischia – Isola Verde.

Erscheinungsort

Neckarsteinach

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Edition Tintenfaß

Seitenzahl

70

Preis in EUR

EUR 12,90

ISBN

3-937467-07-6

Kurzbiographie AutorIn

Annemarie Regensburger, geb. 1948, lebt in Imst.