Wolfgang Tunner, Atemzüge
"Am Ufer der Frosch / schaut Sonne / und springt.§ (34) Das ist ein sehr sympathischer Frosch, offensichtlich hat er in der Sonne das Programm eines miesen Fernsehkanals gesehen oder eine übergeschminktes Porträt und springt.
Nach seinem groß angelegten wissenschaftlichen Werk "Psychologie und Kunst vom Sehen zur sinnlichen Erkenntnis" vertraut Wolfgang Tunner in diesem Band der verdichteten Lyrikform, die Erkenntnisse sind quasi wie Strecknadeln auf die gigantische Pinwand der Sinnlichkeit gesteckt.
Gerade kleine Tiere, Insekten, Frösche, Ameisen oder Käfer zeigen durch ihr Nichtstun den heftigsten Istzustand, alle diese zoologischen Individuen liegen mit zufriedenem Habitus in der Sonne, im Wind oder in einer bestimmten Jahreszeit. In regelmäßigen Abständen kommen Vögel vorbei und lassen sich kurz in den Gedichten nieder, kaum ein Gedicht dauert länger als fünf Zeilen, dann fliegt es quasi aus sich selbst auf und zurück ins bloße Ambiente.
Und immer wieder sind es diese Froschgedichte voller Weisheit, die den Leser zufrieden nicken lassen, dieser Frosch ist wirklich ansteckend fröhlich. ?
Im Tümpel der Frosch / hört Glockengeläut / und Fliegen summen.? (63)
Hier wird die sonntägliche Frohbotschaft unter Glockengebimmel tatsächlich zu einer Frog-Botschaft. Selbst lyrische Legosteine aus der düsteren Traklwelt werden bei Wolfgang Tunner kurz und skurril optimistisch zusammengesteckt.
?Kinder tragen bunte Säcke, / Vogelschwärme ziehn vorbei. / Auf dem Hügel stehen Jäger, / spielen Geigen.?(99)
Gerade als sich großes Drama ankündigt, gibt es nur mehr eine halbe Zeile, die noch dazu gut ausgeht. Und das Ende erinnert an Max und Moritz, die gut gemahlen von den Hühnern aufgefressen werden. ?Dichter, alter Wortsack, leer liegt er am Tor; / Hühner haben ihn ausgepickt.? (119)
Atemzüge sind Meditationen aus einem Guss, alles, was die Lyrik so anbietet, ist
aufgestellt in Reih und Glied, als Leser schreitet man diese schmunzelnde
Wortparade ab und schüttelt die ausgestreckten Worthände. Fröhlichkeit ist
angesagt und unendliche Gelassenheit, es geht um nichts, weil es ohnehin weiter
geht. Wolfgang Tunners Atemzüge fahren als glitzernde Luftgarnituren durch eine
unendliche Zeitlandschaft.
Wolfgang Tunner: Atemzüge.
Wien: Freibord 2003. ( = Freibord Sonderreihe 52 ). 119 Seiten. ISBN 3-900483-52-3.
Helmuth Schönauer, 24-02-2005