Elyas Jamalzadeh / Andreas Hepp, Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten

elyas jamalzadeh, freitag ist ein guter tag zum flüchtenLesen ist für die meisten so selbstverständlich wie Nicht-lesen, es ist in der Öffentlichkeit vorhanden wie das Radfahren oder Fußgehen. Und nur wenn man es gezielt thematisiert, überlegen die Angesprochenen, dass sie vielleicht wieder einmal ein Buch durchblättern könnten.

Die Stadt Innsbruck spricht unverdrossen seit Jahren ihre Insassen auf das Lesen an, verweist dabei auf eine gut funktionierende Stadtbibliothek und verschenkt 10.000 Bücher, die für Aufmerksamkeit, aber nicht für Aufruhr sorgen. Für diese ausgewogene Lesekost sorgt jedes Jahr eine andere Jury, und die Kunst der Politik besteht darin, die Jury klug auszuwählen. Heuer setzt sich diese mit Doris Eibl (Juryvorsitzende, Institut für Romanistik, Universität Innsbruck), Alexander Kluy (Literaturjournalist und Autor, München), Alexandra Plank (Kulturjournalistin, Innsbruck) und Andreas Unterweger (Schriftsteller, Graz) zusammen. Das Team hat wie ein erfahrenes Schiedsrichterquartett gearbeitet und als Innsbruck-liest-Buch einen Erlebnisbericht aus der Migrationsszene ausgesucht.

„Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten“ ist ein Narrativ, das sich Elyas Jamalzadeh als seine eigene Fluchtgeschichte zurechtgelegt hat, unterstützt wird er dabei vom Germanisten Andreas Hepp, der verschiedene Elemente der Literaturkunst in den Erfahrungsbericht hineingeflochten hat.

Geradezu sensationell wird dabei das Kernkapitel der Flucht über das Mittelmeer nach Griechenland überhöht, indem es mit Paul Celans „Todesfuge“ unterlegt ist.

„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends / wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts / wir trinken und trinken / wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng.“

Diesen Text von der schwarzen Milch durften bislang nur Überlebende und Nachfahren des Holocaust zitieren, für alle anderen war er tabu. Mit diesem Tabubruch freilich kommt es zu einer „Engführung“ zwischen Mittelmeer-Migranten und Holocaust-Überlebenden. Ob das die Letzte Generation schon sagen darf, ist noch nicht geklärt.

Bei Elyas Jamalzadeh handelt es sich freilich um einen „Künstler-Füchtling“, der sich, wie er mehrfach erwähnt, letztlich in allen Kulturkreisen zurechtfindet. Während der Schilderung bedankt er sich auch mehrfach bei Österreich, dass ihn dieses Land letztlich unkompliziert aufgenommen hat, weil man ihn vermutlich als Künstler, weniger als Migranten wahrgenommen hat.

Obwohl es sich um ein gelungenes Schicksal handelt und der Erzähler ein „Braver“ ist, der sich bestens in Österreich integriert hat, in Oberösterreich als Friseur arbeitet, die Religion gewechselt hat und mit einer Deutschprofessorin verheiratet ist, sind Flucht und Heimatlosigkeit natürlich ein schweres Trauma, das auf ihm lastet.

Sein Bericht ist von der Dramaturgie her wie ein Spielfilm angelegt, und tatsächlich ist der Autor bereits im Iran als Schauspielender Junge und Filmemacher aufgetreten. Kernpunkt ist das Untergrundleben, das Millionen afghanischer Flüchtlinge im Iran zu bestehen haben ohne Aussicht auf Verbesserung, Integration oder gar Rückkehr nach Afghanistan.

Die Schlüsselszene dürfte in der Fragestellung liegen, warum es keinen Sinn macht, nach Afghanistan zurückzukehren, wenn man im Iran gestrandet ist.

„Freunde sagen den Migrations-Willigen über Europa:
a) Niemand entführt deine Schwester.
b) Niemand verbietet dir, in die Schule zu gehen.
c) Niemand verlangt um ein Vielfaches zu hohe Mieten.“ (67)

Solange solche Gerüchte im Umlauf sind , darf sich niemand wundern, dass alle nach Europa wollen. Denn ein Gerüchte-Skeptiker müsste antworten:
- Deine Schwester wird von TikTok, entführt, wenn sie in Europa ununterbrochen ins Display gafft.
- Du kannst zwar in die Schule gehen, aber diese ist voll und niemand hat Zeit, dich in deiner Muttersprache zu betreuen.
- Die Mieten sind mittlerweile so hoch, dass nicht einmal Einheimische sie bezahlen können, was willst du als Frisch-Zugezogener am Wohnungsmarkt finden?

Die Qualität des Buches entsteht erst in der Diskussion mit den Einheimischen.

So gesehen ist die Entscheidung für Elyas Jamalzadeh als Innsbruck-liest-Buch richtig und wichtig. Darin kann nämlich die Literatur zeigen, wofür sie da ist: Die Kluft zwischen der politischen Öffentlichkeit und dem abgegrenzten Individuum durch Dialog aufzubrechen.

Als Methode eignet sich dafür das Genre Roman oder, wie in diesem Fall, das Erlebnis-Narrativ.

Diese Geschichte hat nämlich den Autor so überzeugt, dass er sie für sich selbst glaubhaft darstellen kann. Jetzt müssen nur noch die Einheimischen ihre Geschichte glaubhaft darstellen, um in den Dialog eintreten zu können.

Denn, wie sagt der Autor recht witzig: Jeder ist auf der Flucht.

Das Neugeborene flüchtet aus der Mutter. Der Schüler flüchtet vor der Prüfung. Der Österreicher flüchtet vor der Rundfunkgebühr. Der Sterbende flüchtet aus dem Leben. (7)

Elyas Jamalzadeh / Andreas Hepp, Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten
Wien: Zsolnay Verlag 2022, 254 Seiten, 22,70 €, ISBN 978-3-552-07289-3

 

Weiterführender Link:
Zsolnay Verlag: Elyas Jamalzadeh / Andreas Hepp, Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten

 

Helmuth Schönauer, 08-06-2023

Bibliographie

AutorIn

Elyas Jamalzadeh / Andreas Hepp

Buchtitel

Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Zsolnay Verlag

Seitenzahl

254

Preis in EUR

22,70

ISBN

978-3-552-07289-3

Kurzbiographie AutorIn

Elyas Jamalzadeh, geb.(Geburtsdatum unbekannt) in Teheran als Kind afghanischer Kriegsflüchtlinge, flieht 2014/15 nach Österreich und beginnt eine Lehre als Friseur.

Andreas Hepp, geb. 1996 in Wels, lebt als Deutschlehrer in Linz.