Lina Hofstädter, Max Moritz Nenad
Die Originalgeschichte von „Max und Moritz“ aus dem Jahre 1865 versetzt noch immer die Pädagogenschaft in Rage und die Lausbuben und Lausmädchen in Verzückung. Im Stile einer Terror-Fibel nämlich werden der Gesellschaft ihre kleinbürgerlichen Privilegien um die Ohren geknallt, während diese mit einem kleingeistigen Curriculum versucht, den Kids den scharfen Zahn für die Zukunft zu ziehen. Als Max und Moritz den Lehrer sprengen, indem sie sich an seiner Lustpfeife vergreifen, ist Schluss mit lustig. Die Helden werden zynisch zu Tierfutter vermahlen und dem Federvieh als Kraftnahrung vorgesetzt.
Für Pädagoginnen, die ein Leben lang unterrichtet haben, gibt es in der Pension kein Halten mehr, um endlich mit dem Max-und-Moritz-Trauma abzurechnen, indem man diese Story für die Gegenwart neu deutet.
Lina Hofstädter hat den Roman lange zurückgehalten, ehe sie ihn nach dem allgemeinen Publikations-Desaster durch COVID nun im TAK Verlag veröffentlicht hat. Dieser Verlag druckt seit Jahrzehnten Bücher, welche mehr die Autorinnen quälen und weniger die Leser. Ein TAK-Buch fragt im Sinne eines Autorenverlags nicht, was sich Leser wünschen, sondern was Schreibende dieser Kooperative umtreibt.
Dennoch müssen sich Bücher dieses Verlags dem allgemeinen Sound der Lektüre-Gesellschaft stellen, wenn auch unter den Kriterien einer überschaubaren regionalen Community.
Max Moritz Nenad ist eine sozial-pädagogische Studie, die mit den Mitteln eines Romans überlegt, wie Lausbubenstreiche heutzutage im Schatten der Handys ausfallen, und wie die Gesellschaft darauf reagiert.
Im Mittelpunkt steht tatsächlich das Handy, auf ihm werden nämlich Leitbilder, Öffentlichkeit, Ideologie und Zukunftsvision sichtbar, wenn die Jugendlichen im Viertelstundentakt darüberstreichen. Das Handy ist auch die wichtigste Kommunikationseinrichtung für besorgte Eltern, wenn sie ihre Kids in der Cloud suchen, für Migrierende, wenn sie zwischen den Kulturen unterwegs sind, und für die Polizei, wenn sie einen Zugriff unter den Koordinaten von GPS organisiert.
Max, Moritz und Nenad, der sich Arkan nennt, halten sich am Beginn des Romans ur-typisch analog im Wald versteckt. Sie haben ein Ding gedreht und müssen überlegen, wie es weitergeht. Nach einem Überfall auf der Inn-Promenade ist Nenad von seiner ehemaligen Lehrerin erkannt worden, weshalb er jetzt auf den Balkan zurück soll, wo er sinnigerweise sicherer aufgehoben ist als in Österreich.
Der Roman handelt vom allgemeinen Schrecken, der allmählich in die Glieder der Beteiligten kriecht. Die Eltern bemerken, dass ihre Kids abgängig sind. Eine Mutter setzt sogar eine Verlustanzeige ab, während die Schule das Fehlen als Business as usual zur Kenntnis nimmt. Die Polizei verschafft sich einen ersten Überblick und nimmt Kontakt zum Opfer auf, das deprimiert in der Klinik liegt. Es kann nur von einem Dicken, Dünnen und einem Türken berichten, der aber bald als Serbe umdefiniert wird.
Die Kids werden kurzerhand inhaftiert, der Dicke und der Dünne kriegen einen Rechtsanwalt, während beim Migrationskind Arkan die Mutter vergeblich versucht, Kontakt im Polizeigefängnis zu finden.
In Rückblenden auf die Täter kommen die Lebensumstände der Lausbuben heraus. Wohlstandverwahrlosung, Desinteresse, Desintegration sind die drei wichtigsten Brennstoffe, mit denen heutzutage die Kids auf die schiefe Bahn gebracht werden.
Das Psychogramm heutiger Lausbuben zeigt zudem, dass niemand für Krisen vorbereitet ist. Der Ruf nach Rechtsbeistand und psychologischer Betreuung sind die beiden Hauptreflexe, die Jugendliche ausstoßen, wenn sie merken, dass sie jetzt Klientel für das Jugendstrafrecht sind.
Lausbubenstreiche könnte man heutzutage mit Jugenddelikten gleichsetzen. Es gibt keinen Raum, worin sich Jugendliche ihr Helden-Mütchen abkühlen könnten. Geradezu ergreifend ist eine Szene, wo Nenad im Gefängnis seinen Künstlernamen der Gewalt durchsetzen will. Als Mithäftlinge Arkan hören, wird dieser im Stile Arkans zusammengeschlagen und gedemütigt wie in einem Comics.
Die Zeit zwischen dem Verbrechen und dem Prozess ist lebensgefährlich, heißt es üblicherweise in Kriminalromanen. In diesem aktualisierten Max-Moritz-Kosmos fangen die Mühlen der Gerechtigkeit zu mahlen an, wie sie es im großen Vorbild von Wilhelm Busch gesehen haben.
Während die Helden und Eltern narkotisiert einem Ende entgegendämmern, – Hauptsache es geschieht was – greift der Max schließlich zum Strick und hängt sich standesgemäß im Elterngarten auf. Manche Eltern können ihren Kids nichts anderes bieten als einen Garten zum Aufhängen, könnte man einen schönen Satz von Werner Kofler fortführen.
Lina Hofstädter erzählt professionell mit Gegenschnitten, sodass die Helden immer ordentlich schwitzen wie eingeschnittenes Obst, das eingekocht werden muss.
Ihre Hauptthese ist, dass im pädagogischen Dreieck Schule-Eltern-Öffentlichkeit (Handy) die Eltern die größte Chance haben, zu versagen.
Der Schlusssatz von Wilhelm Busch gilt auch nach 160 Jahren noch: „Hier kann man sie noch erblicken / Fein geschrotet und in Stücken.“ – Erziehung endet oft letal, weshalb der Pädagogen-Beruf ein ziemlich brutaler ist.
Lina Hofstädter, Max Moritz Nenad. Roman
Innsbruck: Verlag Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative TAK 2023, 311 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-900888-82-4
Weiterführende:
Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative: Lina Hofstädter, Max Moritz Nenad
Wikipedia: Lina Hofstädter
Helmuth Schönauer, 19-06-2023