Gunter Falk, Vom Verschwinden des Autors

gunter falk, vom verschwinden des autorsIn einem funktionalen Lehrbild werden literarische Aufsätze manchmal als Bodenmarkierungen gelesen, die den Verkehrsstrom der Literatur regeln und entflechten sollen. Wie bei echten Bodenmarkierungen verlieren die literarischen oft ihren Sinn, wenn die entsprechende Gegenwart vorbei ist. Aufsätze aus verflossenen Zeiten gleichen dann grobkörnigen Linien auf Asphaltfragmenten, die schon längst von Pionierpflanzen umkreist sind.

Ein solches nostalgisches Bild sollte man sich vielleicht vor Augen halten, wenn man die Essays, Studien, Kommentare und Kritiken im Sammelband „Vom Verschwinden des Autors“ liest. Der Herausgeber Günter Eichberger hat bislang verstreute Aufsätze pfleglich zusammengefasst und mit einem einfühlsamen Nachwort hinterlegt.

Diese behutsame Analyse des Lebens und Wirkens räumt den Blick frei auf die Texte, und lässt das depressive Leben im Vordergrund in ein neues Licht treten. Aus heutiger Sicht auf die 1970er in der österreichischen Provinz würde man von einem Beatnik-Leben sprechen, das Außenseitertum ist das Gefäß für ein Programm, das den kulturellen Alltagsstandards zu Leibe rückt.

So stehen dann ein paar lebens-poetische Akte im Mittelpunkt der Überlegungen, wie man vom Institut für Soziologie aus die Literatur beschreiben, verstehen und vielleicht auch verändern könnte. Die Formel vom Verschwinden des Autors fußt dabei auf der Idee, dem Autor im Literaturbetrieb eine neue Funktion zuzuschanzen. Denn schon in den 1970ern steht der Autor die meiste Zeit auf verlorenem Posten und wird aus dem Geschäftsmodell eliminiert. Noch kann es freilich niemand ahnen, dass es einmal eine Künstliche Intelligenz dafür geben wird.

Gunter Falk arbeitet als Assistent am Institut für Soziologie, sein Traum ist es, Professor zu werden und anschließend sofort zu emeritieren. In der Aufbruchsstimmung der 1970er erlebt die Soziologie ungeahnte Höhenflüge, indem sie den Stoff ständig ausweitet und hinterher dekonstruiert.

In diesem Licht ist vielleicht das Genitalexperiment zu sehen, das der Soziologe in diversen Gaststätten durchführt. Er versucht durch empirisches Ausgreifen wissenschaftlich gesichert herauszufinden, ob Männer ihr Genital links oder rechts tragen. Einmal wird er dabei zusammengeschlagen, weil ein Fußballfan die Untersuchung auf das verlorene Spiel bezieht, statt auf die freie Wissenschaft an der Uni.

Großes Aufsehen soll außerdem die Aktion permutatives Gedicht nach sich gezogen haben. Gunter Falk schreibt das permutative Gesetz an die Tafel und breitet darunter sein Gedicht  „hans im glück“ vor dem Studentenpublikum aus.

„hans ist ein trinker weil jeder weiß dass hans ein trinker ist / jeder weiß dass hans ein trinker ist weil hans ein trinker ist / hans ist ein trinker weil er angst hat / hans hat angst weil er trinkt / hans trinkt weil er ein trinker ist / hans ist ein trinker“ (340)

Das Werk des Gunter Falk besteht aus seiner Distanz zur akademischen Welt, aus der Annäherung an die Literatur über das befreundete Forschungsfeld Soziologie, aus Boheme-hafter Dekonstruktion von Karriere und aus der Hinwendung zu Devianz und Sucht.

Seine im „Sterz“, in den „manuskripten“ und in der „neuen Zeit“ (Graz) verstreuten Artikel brechen die Themen auf, indem sie aus einem „falschen Metier“ heraus sich auf das wissenschaftliche Feld wagen. Nicht die Germanistik ist zur damaligen Zeit für die Gegenwartsliteratur zuständig, sondern die Soziologie, handelt es sich doch bei Gegenwartsliteratur in der Provinz um pure Devianz jener Thesen, die in Großstädten diskutiert werden.

Eine radikale Methode besteht etwa darin, die Thesen des Michel Foucault nicht an der Weltliteratur zu abzuschmirgeln, sondern an der Literatur der damals stark diskutierten lokalen Zeitgenossen Wolfgang Bauer, Ernst Herbeck oder Oswald Wiener. Foucaults Diktum, wonach der Autor nicht als Fiktion eines Individuums, sondern als Funktion oder Dimension fungiere, überträgt Gunter Falk auf den steirischen Topos.

Aus heutiger Sicht stimmt dieses Verfahren, aber das Ergebnis ist falsch, weil sich der steirische Literaturtopos anders entwickelt hat als der germanistische. Durch Globalisierung der Literaturproduktion und „Bologna-sierung“ der Literaturvermittlung, sind die Forschungen zu Devianz und Peripherie am ehesten in die Regale für Heimatchronik und Regiowiki gewandert.

Ein Wühlen in den Essays gleicht naturgemäß dem Blättern alter Sterz-Hefte im Archiv.
Vom Verschwinden des Autors / Lesen ist eine Klassengesellschaft / Das Gute im sogenannten Bösen / Das österreichische Selbstgefühl im Spiegel einer Umfrage – es sind Greifarme, die einen sofort wieder in den Text hineinziehen.

Der Sound lässt an Schärfe und Klarheit nichts zu wünschen übrig. „Die Fakten sind schnell erzählt. Die Aufführung war, vom Theaterstandpunkt aus gesehen, miserabel. Schuld daran ist zweifelsohne weniger dem Autor […] zu geben, als einer ausgeprägten Desorganisation.“ (320)

Gunter Falks Essays als Bodenmarkierung aus ferner Zeit lassen bestens erahnen, wie der Verkehr seinerzeit geflossen ist.

Gunter Falk, Vom Verschwinden des Autors. Essays und Kritiken. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Günter Eichberger
Klagenfurt: Ritter Verlag 2022, 342 Seiten, 32,00 €, ISBN 978-3-85415-625-3

 

Weiterführende Links:
Ritter Verlag: Gunter Falk, Vom Verschwinden des Autors
Wikipedia: Gunter Falk

 

Helmuth Schönauer, 15-07-2023

Bibliographie

AutorIn

Gunter Falk

Buchtitel

Vom Verschwinden des Autors. Essays und Kritiken

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2022

Verlag

Ritter Verlag

Herausgeber

Günter Eichberger

Seitenzahl

342

Preis in EUR

32,00

ISBN

978-3-85415-625-3

Kurzbiographie AutorIn

Gunter Falk, geb. 1942, starb 1983 in Graz, er war Assistent am Institut für Soziologie der Universität Graz.

Günter Eichberger, geb. 1959 in Oberzeiring (Steiermark), lebt in Graz.