Kirstin Breitenfellner, das ohr klingt nur vom horchen

Buch-CoverVielleicht sind poetische Ratgeber die beste Ermunterung, sich auf eine neue Sicht der Dinge einzulassen. Mit ihrem Roman ?Der Liebhaberreflex? hat Kirstin Breitfellner jüngst etwas recht Angenehmes publiziert, nämlich die Gepflogenheiten von Liebhabern, deren Liebreiz und das aufgegeilt Ungustiöse von Balzritualen auf ironische Art vorzuführen.

Im neuen Gedichtband "das ohr klingt nur vom horchen" geht es vordergründig um den medizinischen Zustand der Sinnesorgane, die für den poetischen Akt benötigt werden. Es ist erstaunlich, dass es zu jedem menschlichen Organ einen poetischen Begriff gibt. So heißen die Gedichte griffig wie lexikalische Einträge: Druckstellen, Lebensadern, Luftwege, Aderhaut, Speiseröhre, Nervenbahn.

Für das Gedicht werden diese Begriffe in ihre zwei Bestandteile zerlegt, Vorder- und Hinterteil kriegen eine Strophe, und der ganze Zyklus wird systematisch durchkomponiert wie eine Sammlung von Minisonetten. So entsteht einerseits Sprachkritik, die Begriffe werden ja semantisch neu abgewogen und vermessen, und Poesie, die abgeklärten Begriffe werden nämlich in ein harmonisches Verhältnis gesetzt.

speise/röhre // der speichel spritzt / so heiß ins feuer / welt schlägt / auf die magengrube // am darmrand sitzt / misstrauen ungeheuer / unverdautes trägt / die herzenstube? (9)

So nebenbei entsteht ein Wort wie "Darmrand", eine poetisch elegante Lösung für ein Ding, das man im leicht angehobenen Sprachgebrauch nicht verwenden darf.

Nach dieser Methode, den Körper über den Gebrauch des Hausarztes hinaus zu beschreiben, hat die Autorin den gesamten Zyklus von den Stimmritzen und Muskelsträngen angelegt. Dabei werden die Druckstellen zu literarischen Dingern, eben gedruckten Stellen von Gedichten, und zu Druckstellen als Hämatome am besungenen Körper.

Der "Typenschein" für den Gebrauch der Gedichte ist gleichzeitig eine Aufzählung von Sinnmöglichkeiten für die Interpretation von Texten. Da fallen dann so Begriffe wie: physio-logisch, un-heimlich, krea-türlich, a-mourös, s(k)eptisch, zeit-los, (w)örtlich, an-ästhetisch, sinn-haft, frag-los. Oft ist es nur diese kleine Wortdrehung im Sprachwind, die eine neue Begriffsfärbung für einen ganzen Gedichtstrang bewirkt.

In einem starken Finale geht es scheinbar tierisch zu. "das tier verrückt ernährt die sucht" heißt der Trakt, worin die Sprachlust scheinbar bis ins Animalische ausgereizt wird. Scheinbar blecherne Gebilde kippen durch einen unscheinbaren Klacks und werden zu beinahe romantischen Schleiern, die sich über die großen Emotionsfelder der Sprache legen.

So lapidar logisch der Titel auch klingt, wonach das Ohr vom Horchen klingt, in Kirstin Breitfellners Gedichten stecken alle nur denkbaren Klänge der Poesie.

Kirstin Breitenfellner, das ohr klingt nur vom horchen. Gedichte.
Innsbruck: Skarabaeus 2005. 74 Seiten. EUR 12,-. ISBN 3-7082-3182-1.

 

Helmuth Schönauer, 04-04-2005

Bibliographie

AutorIn

Kirstin Breitenfellner

Buchtitel

das ohr klingt nur vom horchen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2005

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

74

Preis in EUR

EUR 12,-

ISBN

3-7082-3182-1

Kurzbiographie AutorIn

Kirstin Breitenfellner, geb. 1966, lebt in Wien.