Brane Mozetič, Banalien
„Man hat mir nichts gegeben, was mir helfen würde zu existieren. Weder Glauben noch Hoffnung, um zu bereuen, zu bitten und erlöst zu werden.“ (45) Brane Mozetič gilt als der am meisten übersetzte slowenische Autor der Gegenwart, das hat mit seinen Themen zu tun, seiner Beharrlichkeit und der Ortsungebundenheit seiner Lyrik.
Seit zwei Jahrzehnten ist er mit seinen „Banalien“ in der Literatur unterwegs, die „Ur-Banalien“ erweckten bereits 2003 großen Furor, weil seine Gedichte zwar wie Texte aussehen, in Wirklichkeit aber Verfahrensweisen sind.
Jeder Abend kann zu einem Gedicht werden, jede Äußerung zu einer Banalie. Der Kern dieses Dichtens, Leidens und Empfindens lässt sich mit zwei Zeilen aus dem Prosa-Block zitieren: „Die Dinge waren banal geworden, das Leben, das Schreiben, überflüssig. Er legte sich zu mir, umarmte mich, und augenblicklich spürte ich einen Geruch.“ (7)
Banalien sind ausgefranste Prosa-Gedichte, sie lassen sich manchmal wie Kurzgeschichten erzählen, haben die Spontaneität eines Blitzes und hinterlassen Schmauchspuren von Moral und anderen diffusen psychodelischen Hilfsmitteln.
Nackte Männer springen auf den Tresen und stellen den Körper zur Schau, ängstliche Blicke von Anmache zischen durch die Regale einer Buchhandlung (59), in Sao Paulo verschwendet jemand einen Gestus an die Nacht, der überall stattfindet, wo der Geruch von Erotik aufsteigt, toxisch, hilflos und umgeben vom Dunst der Banalien.
Wenn das erzählende Ich kurz innehält und auf den Sound der Umgebung hört, tut sich pures Geschwätz auf, das sich die Leute um die Ohren schmieren, wenn sie in der Öffentlichkeit unterwegs sind. Im Kontrast ergeben sich Augenblicke, wo das Wissen um das Geschwätz egal ist, denn angesichts des gerade entstehenden Gedichts wird alles andere zu einer Banalität.
Banalien sind vieleicht als jene Transformation zu beschreiben, wenn das Individuum jäh auf die Weltlage stößt und explodiert. In einer Rezension heißt es dazu: „Männer wie Orte sind dabei auswechselbar. Egal, ob New York oder Ljubljana, die selbstzerstörerischen Kräfte sind übermächtig.“ Erotik und Schauplätze mutieren zwischendurch selbst zu Nebensächlichkeiten, wenn es zur existentiellen Kernschmelze kommt.
Der lyrische Erzähler bringt seltsame Bilder ins Spiel. Dabei bleibt offen, ob es sich schon um ein Gedicht handelt oder um eine Vorstufe dazu, die rechtzeitig den literarischen Kontext verlässt, um nicht als solche identifiziert zu werden.
Da tritt ein schmächtiger Maulwurfdichter (9) auf und schreibt für eine zentrale Maulwurfbibliothek. An anderer Stelle reist jemand durch das Reservat eines armseligen Volkes, dem er selbst angehört. „Soldaten machen Kinder und töten Kinder.“ (11) Am Freitag ist immer Zeit, an den Tod zu denken. Und zwischendrin gilt es durchzuhalten und Jungs abzuschleppen, alles geschieht nur, um sich von den Sorgen um das banale Leben zu befreien.
Jemand weiß als 16-Jähriger nichts mit sich anzufangen, jemand anders erhält einen klassischen Liebesbrief:
„Liebe Ana, Ljubljana ist ein schlimmer Alptraum.“ (85)
In diesem Bilderbuch vom exzessiven Leben in allen erdenklichen Städten tut sich hinter den Geschichten allmählich etwas Größeres auf: eine Haltung, eine Kultur, ein ungesichertes Informationsnetz.
„Seine Suche führt ihn auf die Straße, in Abgründe voller Drogen und durchgeknallter Typen, ob in Ljubljana, Paris, Nairobi, São Paulo oder New York, und zu all den Unvereinbarkeiten und Verwirrungen in uns selbst, Politik und Gesellschaft“ – heißt es in der Begründung, warum die Banalien-Serie jetzt in der deutschen Übertragung bei Sisyphus abgeschlossen wird.
Neben der internationalen Reputation, die der Autor mittlerweile genießt und ihn als wichtigen Vertreten am Büchertisch „Slowenien“ bei der Frankfurter Buchmesse macht, geht es aber um diese zerbrechlichen Geschichten, die ununterbrochen neu übersetzt und ediert werden müssen, damit sie nicht im Literaturbetrieb aufgerieben werden.
Letztlich sind alles Banalien, die man vergessen muss, um sie irgendwie über die Runden zu kriegen oder vielleicht gar zu retten. Daraus ergibt sich eine persönliche Geschichtsschreibung, oder, wie es in der Bibliothekskunde heißt, daraus speist sich das „emotionale Archiv“.
„Vergessen, wie in unserem Maisfeld ein verletztes Reh Zuflucht suchte und Opa die Jäger rief, damit sie es wegbrachten, klein und hilflos, wie es war. / Vergessen meine ersten Notizen, die ich diesen Burschen widmete. / Vergessen mein verzweifeltes Betrinken, denn nur dann, nur dann getraute ich mich, meine erste Liebe zu berühren. / Vergessen alles, was dann kam.“ (105)
Brane Mozetič, Banalien. Gedichte. A. d. Slowen. von Andrej Leben. [Orig.: Banalije, Ljubljana 2003; deutsche EA: Banalien, Hamburg 2010.]
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2023, 112 Seiten, 12,00 €. ISBN 978-3-903125-82-7
Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Brane Mozetič, Banalien
Wikipedia: Brane Mozetič
Helmuth Schönauer, 28-11-2023