Reinhard Wegerth, Die besten Wunder
Suche den Kern der Hülle! – In der Literatur gibt es ständig neue Rätsel zu lösen, deren Lösungen später wieder zum Aufbau neuer Rätsel genutzt werden können. Reinhard Wegerth nimmt die „besten Wunder“ aus den Gründungsmythen von Islam und Christentum unter seine literarischen Fittiche, indem er sie ohne Vorurteile behutsam aus dem religiösen Kontext schält und als Präparate der Fiktion unter das Lektüre-Mikroskop legt.
Während das Genre Wunder in der Hauptsache bei religiös funktionierenden Geschichten zum Einsatz kommt, ist der Ausdruck „Mirakel“ schon ziemlich profan gedeutet. Schließlich steht beim Mirakel eher der Unterhaltungswert eines Ereignisses im Vordergrund, und das Staunen als Zeitvertreib ersetzt den moralisch dehydrierten Zeigefinger.
Die Mischung von zwanzig Geschichten aus dem Kulturkreis Christentum und Islam arbeitet natürlich die Ähnlichkeiten der beiden Religion-Sagas heraus, erweitert diese Verwandtschaft aber durch Vergleich und Durchmischung. Das Publikum, egal wie gottlos oder ehrfurchtsvoll es ist, kann bald nicht mehr unterscheiden, „who is who“ und „was ist was“, und erfreut sich an ziemlich lustigen Begebenheiten, die vom Alltag zerstreuter Helden zu jenen Zeiten berichten.
Den zwanzig Mirakelgeschichten sind nach der Nennung des Themas jeweils theatralisch Ort und Zeit angefügt, sodass sich ein guter Einblick in die jeweilige Quellenlage der Storys ergibt.
Schon die beiden Schöpfungs- und Zeugungsmysterien sind Geschichten, die sich bei jedem Stehbuffet mit gehobenem Gelächter erzählen lassen.
Die „Jungfrau“ spielt in Nazareth, etwa 7 v. Z., wie man vor unserer Zeitrechnung klugerweise abkürzt. Ein Mädchen ist schwanger, weiß aber nicht von wem, der Verlobte ist so tapfer und treuherzig, dass er beinahe um eine Lüge bettelt. Die Kusine des Mädchens ist in Sachen Zeugungsunfall ziemlich abgekocht und empfiehlt einen rhetorischen Überbau über das Ganze und entwickelt dabei ein göttliches Händchen, das alles dirigiert. Kurzum, der tapfere Zimmermann frisst die Geschichte, Maria gebiert ihren Sohn und die Quellen mystischer Geschichten beginnen zu sprießen.
Ähnlich alltäglich geht es 570 u. Z. (unserer Zeitrechnung) zu, als in Mekka ein besonderes „Licht“ aus einem Stein aufleuchtet. Ein junger Mann ist in Pilgermission unterwegs, als er an allen Körperteilen von einer schwarzen Kraft erfasst wird. Schon will er sich über die nächstbeste Frau hermachen, die ihm offen ihre Dienste anbietet, da strauchelt seine Erregung, denn der Stein empfiehlt ihm, es an anderer Stelle mit der Zeugung zu versuchen. Tapfer erledigt der Held seine Mission und zeugt ein Kind, das erwachsen auf die Welt kommen und eine Religion gründen wird. Auf dem Nachhauseweg zuckt er zusammen, als ihn das Angebot der Frau erneut überkommt. Aber die Religion beginnt schon zu wirken, der Mann ist ernsthaft geworden und hat keine Zeit mehr für Seitensprünge.
Nach diesem Zeugungsmuster lassen sich bestens politische Parteien, Firmendynastien und Nachfahren für große Stiftungen erklären, was beweist, dass dieser entschälte Ur-Plot aus Jungfrau und Licht in aller Welt Furore machen kann.
Nach diesem Akt der Entlarvung religiöser Motive bleiben meist klare Plots übrig, die mit logischem Genuss zu lesen sind.
In der „Beschneidung“ wird standesgemäß der Frage nachgegangen, was mit der Vorhaut von Beschnittenen so alles passieren kann und wie man darauf ein Startup für Devotionalien aufbaut. Bei einer Speisung im großangelegten Stil geht es um Probleme des Caterings, die mit etwas Logistik auch in Wüstengebieten gut zu bewerkstelligen sind.
Große Gedanken haben es so an sich, dass sie oft auf kleinster Location das Licht der Welt erblicken. Ein „Palmstumpf“ in einem orientalischen Garten dient als Gesäßunterlage für einen religiösen Gedanken-Brüter, und dieser ist selbst am meisten erstaunt, wie viel Sinn letztlich aus einer simplen Meditation auf einem Wüsten-Strunk entstehen kann.
Reinhard Wegerth erzählt freilich nicht so despektierlich, wie es diese Beschreibung tut, die durch die Reduktion der Geschichten auf den „Strunk“ immer wieder zu Ausschmückungen neigt.
Aber das ist schließlich das Wesen von Wundern, dass sie ihre Wirkung auch dann noch verströmen, wenn sie ihrer Wirkung entkleidet sind. Eine Wundergeschichte wird immer wundersam bleiben, so sehr sie auch rational verklausuliert wird.
Der Autor unterstützt dieses Rätsel durch einen seltsamen Stil, der halb aus einer atemlos erzählten Mauerschau, halb aus einem Botenbericht eines kollabierten Helden besteht.
Den Sätzen ist oft das Subjekt entnommen, weshalb sich ein knapper Stil ergibt, der ansatzlos für alle denkmöglichen Begebenheiten angewendet werden kann.
„Hatte aber eine Frau […]“ / „Wusste natürlich nicht […]“ / „Geschah dann aber alles wie vorbestimmt.“ (20)
Die Mirakelgeschichten sind elliptisch zu Mirakelfloskeln eingedampft, die beim Lesen aufknallen wie gut paniertes Popcorn. Man hört es aus diesem Absätzen direkt heraus, wie sich die Erleuchtung auftut als Orgie von Knallfröschen.
Nach Episoden über Wein, Sonne, Versuchungen und Heilungen, Milch, See, Brunnen und Termiten ist die Wundersammlung endlich bei Hölle und Himmel.
Reinhard Wegerth beschließt diese extravagante Wanderung durch das Reich von religiösen Sagen und Legenden mit einem Rätsel. Die Lösung besteht aus elf Buchstaben und erklärt die Motivation des Autors für dieses Wunderbuch.
Reinhard Wegerth, Die besten Wunder. Mirakelgeschichten aus Christentum und Islam
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2024, 94 Seiten, 15,00 €, ISBN 978-3-903125-84-1
Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Reinhard Wegerth, Die besten Wunder
Wikipedia: Reinhard Wegerth
Helmuth Schönauer, 17-03-2024