Anna Stecher, zouba!
Was wir im Tirolerischen Dialekt als sachte Anmache empfinden, etwa "Ruck zouba!", ist in diesem Buch chinesisch und heißt "Gehen wir!"
Die Südtiroler Autorin Anna Stecher hat ihre bisherigen Studien in Peking auch dazu genützt, uns in den Tälern hinten Gebliebenen etwas im chinesischen Stil zu erzählen. Zu diesem Zwecke verwendet sie das Vehikel der Sanwen-Prosa, das sind lose Schriften, die mal als Tagebucheintragung daherkommen, als schlichte Prosazelle oder als phantastische Traumnotation ohne dramaturgisches Korsett.
Figuren und Ambiente sind irgendwie chinesisch, wie sich das vielleicht der Europäer vorstellt, der ein bisschen in Brechts gutem Menschen von Sezuan geblättert hat. Dieses europäische Vorurteil lässt den Leser in den Geschichten immer etwas suchen, was aus der bisherigen Leseerfahrung Halt gibt.
So legt man die Geschichte von den verrückten Katzen irgendwo in ein groteskes Feld, das vielleicht Kubin bearbeitet haben könnte, jene Geschichte, in der sich jemand in einen Esel verwandelt und ein eigenes Gesetz erlässt, erinnert wie alle Verwandlungsgeschichten ein bisschen an Kafka, und jene Sequenzen, die von der Verrücktheit der Sprache handeln, lassen ein wenig zu Rosendorfers Variationen bairisch-chinesischer ?Ing-Geschichten? schielen.
Aber diese Verankerungsversuche zeigen ja bloß, dass sich Anna Stecher ein völlig neues, tolles Feld des Erzählens ausgesucht hat. Gerade das Freie, Fließende, schön von märchenhafter Fiktion Umspülte lässt jene Freiheit zu, einmal ?chinesisch lesen? zu gehen, wie man sonst nur "chinesisch essen" geht.
Nach einer kleinen Einführung in das Wesen von Sanwen gibt es 19 Geschichten, die Überschrift der Episoden ist jeweils auch in chinesischer Kalligraphie hingemalt. Bei der Kurzgeschichte von den drei Blutstropfen, die aus dem Herzsockel springen, wird gar nur das Erlebnis Schriftzeichen in Worte gefasst.
In den Aufzeichnungen kommen skurrile Figuren zu ihrem Auftritt, mal wird eine Studentin vom Hausherrn im Leihanzug empfangen, dann wird ein Clown auf offener Textbühne geboren. Die Gedanken fließen und fließen, man hört den Akku beim Tippen summen, wie er diesem Fließtext Strom für das Abrinnen der Buchstaben gegeben hat.
Anna Stechers Konvolut im chinesischen Stil ist eine amüsante, durchaus intellektuelle Herzhaftigkeit, die in generelle Sympathie mündet. Ja, wir wollen mehr von Anna Stecher lesen, ja, wir wollen mehr von China wissen, ja, wir wollen mehr spielerisch ernste Texte, kurzum, mehr "zouba!"
Anna Stecher, zouba! Sanwen-Prosa.
Bozen: Edition raetia 2005. 232 Seiten. EUR 9,90. ISBN 88-7283-215-2
Helmuth Schönauer, 01-10-2005