Manfred Schild, Wallstreet, Windel, Werkzeugkiste

Buch-CoverWo ist die toteste Gegend einer Stadt? – Meistens dort, wo nicht einmal mehr Einheimische wissen, wie die Straßenzüge heißen.

In Innsbruck gehört die Feldgasse sicher zum schattigsten Bewusstseinswinkel, den man sich in einer geistig schattigen Gegend vorzustellen hat. Mitten in diesem Brachland zwischen Pädagogischer Akademie und Umspannwerk ist in der ehemaligen „Konsum“-Zentrale das Westbahntheater untergebracht.

Ein Theater ist so gut wie die Stücke, die darin gespielt werden, und die Stücke reißen letztlich das ganze Theater wie eine Wolkendecke auf, bis alles hell ist. Man denke nur an Felix Mitterers Stück „Kein Platz für Idioten“, das die ehemalige Breinößlbühne jahrzehntelang am Leben erhalten hat.

Manfred Schilds neues Stück „Wallstreet, Windel, Werkzeugkiste“ hat das Westbahntheater mit einem Schnall bekannt gemacht und in die Höhe gebracht.

Unter dieser W-Wort-Orgie verbirgt sich ein Thema, das in dieser ungewöhnlichen Sichtweise selten aufgegriffen wird: Was tun eigentlich Väter in einer Gesellschaft, die für sie keine Rolle vorgesehen hat?

Fridolin K., ein entfernter Ableger von Franz Kafkas K., hat eines Nachts eine unheimliche Begegnung mit einem Konvent, der ihm die Regeln für eine glückliche Vaterschaft beibringt. In der Folge geht alles aus dem Leim: Beruf, Träume, Liebe und Pädagogik sind in der Realität beileibe nicht das, als was sie in diversen Ratgebern hingestellt werden.

Stress, Unmut und schließlich ein kolossales Burnout sind die Folge einer Vaterschaft, die es rund um die Uhr allen recht machen will.

Fridolin K. nämlich muss dem Konvent immer wieder Rechenschaft ablegen und wird von diesem sarkastisch aufgefordert, durchzuhalten. Schriftliche Ratgeber, esoterische Kurse und Ratschläge von Erziehungsgurus bringen nichts außer Gelächter beim Publikum.

Erst als Fridolin K. aus diesem Affenzirkus aussteigt und auf den Konvent pfeift, kommt das Leben wieder zurück und auch der Säugling dürfte von diesem Zeitpunkt an eine gute Prognose haben.

Der Konvent ist dramaturgisch gesehen ein geniales Mittel, um diesen Brei aus Erziehung, Meinung, Gerücht und versteckten Regularien dingfest zu machen. Und dennoch bleibt der Konvent unsichtbar wie die Geisterbesatzung in Franz Kafkas Schloss.

Manfred Schilds sarkastische Komödie reißt nicht nur das Publikum mit, sondern bringt tatsächlich Leben in einen toten Stadtteil. Das also kann Theater auch: in einem alten Warenlager für Konsumartikel die Stimmung so anzuheizen, dass das Publikum durchgeschüttelt vor Lachen frei wird für einen frischen Lebensentwurf.

 

Manfred Schild: Wallstreet, Windel, Werkzeugkiste. Ein Theaterstück mit viel Musik. Uraufführung 2006.
Innsbruck: Westbahntheater 2006.

 

Helmuth Schönauer, 19-01-2006

Bibliographie

AutorIn

Manfred Schild

Buchtitel

Wallstreet, Windel, Werkzeugkiste

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Westbahntheater

Kurzbiographie AutorIn

Manfred Schild, geb. 1968, lebt in Innsbruck.