Dietmar Dath, Dirac

Buch-Cover"Gibt es Menschen, die es fertigbringen, die Welt genauer zu sehen als sie ist?" (18) – Der britische Physiker Paul Dirac (1902-1984) scheint so ein Mensch gewesen zu sein, manche seiner Beiträge zur Quantenphysik gelten heute noch als rätselhaft und lösen deshalb Bewunderung aus.

Für einen rastlosen Studenten ist so ein Mammut an Wissenschaft natürlich die ideale Messlatte, um das eigene Leben zumindest in der vagen Lebensplanung etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. David beschließt, als Biograph des Genies aufzutreten, nachdem er sein Studium an den Nagel gehängt hat.

Haste denn noch vor? – Ich wart bis die UB aufmacht. Ich will mir ein paar Bücher mitnehmen. Bücher, Bücher, Bücherbücherbücher. Ich denk, du brichst dein Studium eh ab? – Um Schriftsteller zu werden, ja. Deshalb die Bücher. (9)

Mit diesem Lob auf die örtliche Universitätsbibliothek tut sich aber auch schon die Frage auf: Wie eine Biographie schreiben? Diese Frage ist mit rechtwinkligen Strategien mindestens so unlösbar wie das Leben generell.

Also hilft es vielleicht, wenn man über den Umweg des Biographen den wahren Helden beschreibt, das Schicksal des Beschreibers überlagert dabei bald einmal jenes des zu Beschreibenden.

Allmählich entschwindet Dirac zu einem bloßen Thema, das als Lebensentwurf herumgeistert wie eine Dissertation, die niemand schreibt. Überlagert wird dieser hohe mathematisch-quantenphysikalische Ansatz von allerhand Trivialitäten. Die ehemals forschende Studentenszene ist erwachsen geworden und längst im Karst des Alltags versickert. Die Gesellschaft tut das Ihrige, indem sie keine Ziele mehr ausgibt und die Genies und Forscher sich selber überlässt.

So lesen wir in diesem metabiographischen Roman alles, was so Kraut- und Rübenmäßig während eines Forschungsprojektes daherkommt. Einkäufe, Spiele, Feten, Schwangerschaften, Liebschaften und Berufe strömen ungebremst durch die Tage, alles ist gleich unwichtig, jedes noch so kleine Unding hat aber offensichtlich eine Quantenbahn, wenn man diesen physikalisch ungenauen Ausdruck verwenden darf.

Dietmar Dath ist mit diesem Roman gleich Mehrerlei geglückt: ein schönes Porträt über eine semi-sozialisierte Akademikergesellschaft, die den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat; ein scharfes Porträt eines Wissenschaftlers, das gerade wegen seiner Ausblendungen jeweils auf die richtigen Stellen leuchtet, ein biographisch aufregendes Stück Lebenskurve, wo jemand sein echtes Ziel, nämlich das Leben, erreicht, indem er sinnlos ins Leere forscht.

Die Idee, das Leben als Stück Quantenphysik darzustellen ist recht faszinierend, zumal man als Leser oft vom Leben wie von der Quantenphysik gleich wenig Ahnung hat.

Dietmar Dath, Dirac. Roman.
Frankfurt/M: Suhrkamp 2006. 382 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-518-46048-1

 

Helmuth Schönauer, 20-12-2006

Bibliographie

AutorIn

Dietmar Dath

Buchtitel

Dirac

Erscheinungsort

Frankfurt a. Main

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

Suhrkamp

Seitenzahl

382

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-518-46048-1

Kurzbiographie AutorIn

Dietmar Dath, geb. 1970, lebt in Freiburg und Berlin.