Oft sind es diese kleinen selbstbewussten Widerspruchswörter, die in einer Erzählung als strukturierte Alternativen hervortreten. Das Wörtchen „doch“ erinnert im besten Fall an ein dynamisches Kind, welches in den Boden stampft und „doch“ schreit, um ein Begehren vorzutragen.

In Annett Krendlesbergers knapp zwanzig Erzählungen treten Heldinnen und Helden auf, die an die Peripherie der öffentlichen Wahrnehmung gerückt sind und einmal noch kurz so etwas wie einen eigenen Willen kundtun, um den letzten Rest einer eigenen Identität zu dokumentieren. Dabei gerät dieses Aufbegehren manchmal in die Nähe einer Marotte, die erst recht wieder ohne Aufmerksamkeit weggewischt wird.

Nach einer recht einleuchtenden Vorstellung besteht der Sinn des Lebens im ständigen Erzählen dieses Lebens. Wenn alles fertig ist, setzt das Leben von sich aus den Schlusspunkt.

Gabriele Kögl wählt für ihre monologische Erzählung „Höllenkinder“ eine Bäuerin als Heldin, die anlässlich des achtzigsten Geburtstags ihr Leben abarbeitet. Die Feierlichkeiten sind eine Bedrohung des geordneten Lebens, denn feiernde Angehörige und Jubiläumskind sind völlig überfordert. Es wird der übliche Tamtam aufgeboten, Essen, kleine Basteleien, Fotos, Floskeln, niemand fühlt sich so recht wohl in seiner Haut, weil es keine verlässlichen Rituale gibt, die so einen Geburtstag als Lebensbilanz erträglich machen könnten.

In den Nachfolgestaaten der Sowjetunion werden die letzten Jahre des Imperiums als „Moskauer Jahre“ bezeichnet, damit kann man zeitgenössisch präzise sein und dennoch die Gefühlsdistanz zur alten Mutter Hammer-Sichel kundtun.

Julia Kissina schickt ihre Heldin Elephantina als angehende Künstlerin von Kiew in die Hauptstadt Moskau, wo sich im halboffiziösen Untergrund eine geradezu phantastische Künstlerszene entwickelt hat. Elephantina klingt ja selbst schon wie eine Heldin aus einer angerauchten Gegend, ihr Geliebter ist Tomaterich. So wie sich die Helden der Revolution Künstlernamen wie Lenin oder Stalin gegeben haben, benützen jetzt auch die Künstler ihre Kampfnamen der Phantasie.

In einem geordneten System wie der Medizin, der Pädagogik oder der Literatur geht man davon aus, dass etwas beabsichtigt wird, und „daneben“ können unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Nun wissen aber gewiefte Mediziner, Lehrer und Autoren, dass es besser ist, Haupt- und Nebenwirkung zu vertauschen, um das Ziel zu erreichen.

Ludwig Roman Fleischer untersucht in seinen literarischen Fallbeispielen knapp zwanzig solcher Nebenwirkungsfälle, die naturgemäß dermaßen skurril und „entrig“ ausgehen, dass man wahrscheinlich bei keinem Gericht der Welt den Schaden einklagen kann. In der Hauptsache ist es das System, das die Sachen vertauscht und etwa Fußnote mit Überschrift verwechselt.

Lebensentwürfe zeigen ihre wahre Größe erst, wenn sie am Nullpunkt angekommen sind. Erst wenn die Helden ihrer Ideen-Verkleidungen beraubt sind, können sie auf ihre tatsächliche Überlebenskraft zugreifen.

Karoline Cvancara ist mit dem Roman „Am Tiefpunkt genial“ ein perfektes Kammerstück aus dem Wiener Bobo-Grätzl Josefstadt gelungen. Auf engstem Raum ist alles vorhanden, was man zum Glücklichsein braucht. An allen Ecken und Enden sind diese kleinen Geschäfte, die sich unter der Globalisierungshaube wegducken und Wärme und Menschlichkeit verbreiten. Die Griechen und Italiener und sonstigen Lokale sind alle „klein und angenehm“, man isst in kleinen Portionen und trinkt dazu in kleinen Schlucken, bis man dann doch den großen Fetzen ausgefasst hat.

Ein Held, der von vorneherein als Medium angelegt ist, kann sich in punkto Wahrheit so gut wie alles leisten und ist der ideale Mittler zwischen Autor und Publikum.

Klaus Rinner führt seinen Steger-Kosmos, den er vor acht Jahren als „Herzensverdruss“ ausgelegt hat, mit dem Aktenvermerk „Verwerfungen und scheues Glück“ fort. Doktor Steger ist Rechtsanwalt, der aus seiner juristischen Haut nicht hinauskann, weshalb er sich die Welt juristisch deutbar zurechtlegt. Das funktioniert in den meisten Geschäftsfeldern der Gesellschaft, weil es schließlich zu jedem Thema Gesetze, Auslegungen und Gerichtsurteile gibt.

Wer einmal länger in ein Aquarium geschaut hat, kann sich durchaus vorstellen, dass eigentlich die Fische die Beobachter sind, die sich an den kiemenlosen Gaffern köstlich amüsieren.

David Vann erzählt von einer Familie, die letztlich zu moralischen Schauzwecken in der Gesellschaft aufgestellt worden ist wie fast alle Familien dieser Welt. Die Protagonisten schwimmen wie Fische um einander herum, belauern sich und versuchen, sich gegenseitig das überlebensnotwendige Wasser abzugraben.

Den besten Stoff für Literatur bietet allemal das Leben selbst und das verrückteste Glück lässt sich nur in der Literatur finden.

Josef Steinbach nimmt diese Extrem-Achsen der Literatur zum Anlass, um darin einen Fall von Glück zu installieren. Tibor im Glück wird als Vorspann in großen Lettern in das Buch gespiegelt, die Buchstaben ziehen einzeln vorbei, so dass man erst nach ein paar Seiten die Botschaft begreift: Tibor Katar widerfährt das Glück.

Wenn ein Ort richtig entlegen ist, fällt er mit einer Handbewegung aus Raum und Zeit. Broken Hill ist ein abgewirtschafteter Bergbau-Ort im tiefsten Australien. Mit der schrottreifen Eisenbahn ist es leichter über die Küste nach London zu gelangen als nach Sidney.

Nicholas Shakespeare siedelt die Geschichte vor genau hundert Jahren an. Broken Hill hat den Anschluss an die Welt verloren, aus den einst gewonnenen Erzen sind längst Waffen und Kugeln gegossen, Broken Hill befeuert gerade den Ersten Weltkrieg mit seinen früheren Exporten. Im Mittelpunkt der Geschichte steht fast kitschig ausformuliert Rosalind, die mit ihren gerade mal zwanzig Jahren den Heiratsmarkt ungemein mobilisiert. Es herrscht nämlich Frauenüberschuss, weil die Männer meist schon in den Minen verunglückt sind.

Wenn man das letzte Bild von jemandem im Album hat, hat man dann sein ganzes Leben vor Augen?

Simon Konttas widmet sich in seiner Studie über eine empfindsame Männerseele dem sogenannten letzten Bild. Da es sich beim Protagonisten um einen nebenseitig tätigen Maler handelt, könnte es sich um dessen letztes Bild handeln. Andererseits geht der Held elendiglich zugrunde mit einem letzten Bild vor Augen. Und schließlich lässt sich rätseln, welches letzte Bild vom „Roman“ beim Leser haften bleibt.