Marge Piercy, Sehnsüchte

Buch-Cover"Die Sehnsüchte von Frauen:/ Flügelschlag von Faltern gegen / Decken, die blaubemalt wie Himmel sind …". –Dieser wunderschöne Vers über Sehnsucht, Freiheit, Illusion, Himmel und Zimmerdecke ist einem gigantischen Kosmos vorgespannt, der sich über siebenhundert Seiten schwer als psychisches Soufflé vor der Leserschaft ausbreitet.

Aus drei Frauenfiguren flicht Marge Piercy einen Zopf, der immer strenger und unauflösbarer wird. Die Sehnsüchte der Frauen werden unter diesem strengen Zug der gesellschaftlichen Verstrickungen rigide abgewürgt, bis die Heldinnen dann verstört zur Erkenntnis kommen, ok, das wird es wohl gewesen sein.

Leila ist Soziologin, Publizistin und gehörnte Ehefrau, ihr Mann inszeniert als Theaterregisseur stets frische Liebschaften. Sie forscht über Obdachlose und andere Randgruppen der Gesellschaft, ihr Verlag macht ihr ein tolles Angebot, über eine mutmaßliche Mörderin ein Buch zu schreiben.

Als diese Mörderin sitzt Becky ein, sie ist jung, wild, und sexuell voll tätig. Die Gesellschaft wirft ihr eher den jungen Liebhaber als den Mord an ihrem Ehegatten vor.

Als Aufräumerin bei Leila taucht verlässlich Mary auf, sie ist in Wirklichkeit obdachlos und hält sich über Wasser, indem sie vorgibt, bei einer seriösen Reinigungsfirma angestellt zu sein.

Die drei Frauen kommunizieren durch die gesellschaftliche Konstellation, im Alltagsgeschäft freilich sind sie voneinander isoliert und gehen müde ihren Sehnsüchten nach.

Sie musste über vieles nachdenken. Sie hatte einige Entscheidungen zu treffen – und zwar allein. (250)

Dieser Stoßseufzer eines Kapitels trifft auf alle drei Frauen zu, sie müssen ihre Entscheidungen letztlich immer alleine treffen, und meistens geht die Sache schief.

Als scheinbar alles noch gut läuft, fasst Becky ihre Aktiva einmal so zusammen:

1. Einen Ehemann aus den richtigen gesellschaftlichen Kreisen. / 2. Eine schöne Wohnung. / 3. Einige gute Möbel. / 4. Einen gutbürgerlichen Job. (402)

In der Folge ist der Mord am Ehemann zwar logisch erklärbar und irgendwie sinnvoll, aber er bringt keine Emanzipation, der Tote wird erst recht zum Gefängnis. Die Reinigungsfrau erkrankt und legt sich ins Bett ihrer Arbeitgeberin, die nichts ahnend und letztlich sehr theoretisch über Obdachlose forscht. Und die Verbindung Mörderin, Buch schreibende Soziologin endet in großem Frust, die Gefangene fühlt sich von der Wissenschafterin hereingelegt und verraten.

Die Frauen stehen sich oft selbst im Weg, um zu ihrem Glück zu finden, die Männer sind zwar nicht schuld an diesem Unglück, aber sie bringen nichts, in keiner Variante.

Die Kapitel fließen unaufhörlich durch das breite Becken einer modernen Gesellschaft, die sich zwar völlig aufgeklärt gibt, in der aber niemand etwas von der anderen weiß. Ein paar hundert Schicksale liegen wie Steine eines Bachbettes auf dem Weg der Figuren, das erklärt, warum die Sehnsüchte letztendlich so umfangreich geworden sind.

Obwohl sich das Buch so schwer anfühlt, strömt aus seinem Leib eine riesige Masse voller Leichtigkeit. Sehnsüchte muss man laufen lassen, dann findet man zu sich selber. Leicht melancholisch rundet Marge Piercy das Panorama der Gefühle ab, die Decke des Himmels schlägt irgendwann jeder auf den Kopf.

Marge Piercy, Sehnsüchte. Roman. A. d. Amerikan. von Heidrun Schwarz. [Orig.: The Longings Of Women, 1994].
München: Diana 1996. (= Diana Taschenbuch 62/166). 765 Seiten. EUR 10,-ISBN 978-3-886194-60-5.

 

Weiterführender Link:
Wikipedia: Marge Piercy

 

 

Helmuth Schönauer, 09-02-2007

Bibliographie

AutorIn

Marge Piercy

Buchtitel

Sehnsüchte

Originaltitel

The Longings Of Women

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

1996

Verlag

Diana

Übersetzung

Heidrun Schwarz

Seitenzahl

765

Preis in EUR

EUR 10,-

ISBN

978-3-886194-60-5

Kurzbiographie AutorIn

Marge Piercy, geb. 1936 in Detroit. Ist engagiert in der Bürgerrechts-, Friedens- und Frauenbewegung.