Annette Mingels, Der aufrechte Gang

Buch-CoverVielleicht muss man die richtige Liebe immer kalt und unauffällig halten und an extremen Figuren festmachen, damit sie langfristig funktioniert. Nichts ist nämlich schwieriger, als im aufrechten Gang durch die Slalomstangen der Gefühle zu wandeln.

Die Hauptfigur Ruth greift daher mit einem Arm ins reife Alter ihres Mannes, mit dem anderen in die Jugend des Sohnes ihrer besten Freundin.

Der Roman spielt am aktuellen Nullpunkt der Ereignisse und geht fallweise in die Geschichte der Gegenwartsgefühle zurück. In drei größere Erzählschüben, welche zeitlos ineinander verwoben sind, fährt Ruth mit ihrer Freundin Simone und deren 17 Jährigen Sohn Willy nach England.

Allmählich kommen die bisherigen Biographie-Partikel zum Vorschein. Ruth hat ihren ehemaligen Professor Sven geheiratet, der Altersunterschied hat zu einer pragmatischen Art der Liebe geführt, immerhin verlaufen die Seitensprünge der beiden kultiviert und in hormonell gut einschätzbaren Dosen ab. Als Sven von seiner Todeskrankheit erfährt, geht er in den Keller und baut eine Wiege.

Das Baby hat aber Ruths Freundin Simone aus heiterem Himmel bekommen. Niemand weiß genau, wo es hergekommen ist, aber Willy fühlt sich zeitlebens als Amerikaner.

Aber lassen wir es doch bei meiner Version der Geschichte, er war Amerikaner, nennen wir ihn Jeff oder John. Ich kann ihn nicht aufgeben, ich will es nicht, und wofür denn auch? Wozu die Wahrheit sagen, wenn sie niemandem nützt. (129f)

Wer die Wahrheit in die Hand nimmt und wohl dosiert damit umgeht, hat am ehesten Chancen, aufrecht durchs Leben zu kommen.

Am Schluss der Englandreise steigen die Freundinnen und Willy bei einer bigotten Familie ab. Genau in diesem asketisch verlullten Ambiente kommt es zum sexuellen Touchdown. Willy liegt im Bett der besten Freundin der Mutter, Ruth verlässt am Schluss cool und wortlos England und die Vergangenheit und wendet der Zukunft ihre offene Seite zu.

In Anette Mingels Kammerstück der wahren Gefühle geht es um Lebensentwürfe, die scheinbar spontan loslegen, aber von den Figuren dann geformt und pragmatisch an den Alltag angepasst werden. Ein ständiges Ringen um den aufrechten Gang durchs Leben also. So manche Begriffe aus der Gefühlskiste wie: die wahre Liebe, das Glück vom Babykriegen, Altersunterschied in Sex und Alltag, Fremdgehen als Bypass der Beziehung, Wohnen in gepflegter Professorenatmosphäre am Stadtrand kriegen in diesem Roman jeweils ein unprätentiöses Untertassl, damit sie auch keine Ringe hinterlassen am aalglatten Tisch der Glücksverheißung.

Ja, so wird das Leben sein, denkt man sich als Leser und ist ein bisschen an die Coolness der „Liebesblödigkeit“ erinnert, wie sie vor ein paar Jahren Wilhelm Genazino aufgeschrieben hat.

Annette Mingels, Der aufrechte Gang. Roman.
Köln: DuMont 2006. 165 Seiten. EUR 17,90 ISBN 978-3-8321-7965-6 .

 

Weiterführende Links:
Dumont-Buchverlag: Annette Mingels, Der aufrechte Gang
Homepage: Annette Mingels


Helmuth Schönauer, 23-03-2007

Bibliographie

AutorIn

Annette Mingels

Buchtitel

Der aufrechte Gang

Erscheinungsort

Köln

Erscheinungsjahr

2006

Verlag

DuMont

Seitenzahl

165

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-8321-7965-6

Kurzbiographie AutorIn

Annette Mingels, geb. 1971 in Köln, lebt in Zürich.