Ludwig Laher, Und nehmen was kommt

Buch-CoverManchmal knüpft der erste Absatz eines Romans bereits einen dermaßen vertrauenswürdigen Knoten mit dem Leser, dass man von der ersten Zeile an weiß, man ist in guten Erzähl-Händen.

Ludwig Laher ist für eingeweihte Leser ein Paradoxon, er erzählt nämlich die schmerzhaftesten Biographien mit einer mitreißenden Diskretion. Natürlich verheißt dieses verwucherte Gartenstück am Beginn dieses Romans nichts Gutes.

Abgelegen und abgewandt von der Welt betritt Monika die Szenerie, sie ist ein so genanntes ‚schwarzes’ Mädchen, ausgestoßen wie ihre Roma-Familie, und hat ein Leben lang damit zu kämpfen, sich an der Peripherie der Gesellschaft von einem Tag in den nächsten zu tasten.

Heruntergekommener Maschendraht stützt sich auf rostige Pfosten. Irgendwo im Gestrüpp fängt der Zaun an, irgendwo im Gestrüpp verläuft er sich. Irgendwann hat er irgendetwas umfriedet. Ein brauner Teppich mit grünem Ahornblattmuster hängt schwer an ihm, davor, oder ist es dahinter, duckt sich das Skelett eines Kinderwagens. (7)

Die Geschichte ist brutal. Verwahrloste Familienverhältnisse, Alkohol, Alltagskriminalität, Gewalt und der permanente Spießrutenlauf quasi mitten durch die Behörden. Bald einmal ist Monika verkauft und verraten und in einem Heim. Suizidversuche, flache Überlebensstrategien und tiefe Selbstverstümmelungen sind an der Tagesordnung.

Als sie schließlich nach ihrer Entlassung aus dem Heim von den Resten der Familie gelegt wird, bleibt ihr nur noch die Prostitution. Als Kommentar zu diesem Geschäft fällt der bemerkenswerte Satz: „Sie stellen sich an den Straßenrand und nehmen, was kommt.“ (61)

Drogen, Prostitution, Straßenstrich, Clubs, die Hinterhöfe Europas. Monika macht alles durch, und als Leser kriegt man einen realistischen Einblick in die Hinterwelt des Kontinents.

Natürlich sind es oft politische Entscheidungen, die sich auf das Leben auswirken. Etwa wenn Tschechien und die Slowakei zwei einzelne Staaten werden, wohin soll man gehen? Wenn die EU plötzlich den Kontinent mit skurrilen Freiern überschwemmt, wie soll man diese Typen überleben? Wenn die halbe Familie durch Sterilisationsmaßnahmen und Vernichtungslager ausgerottet worden ist, was bleibt da noch an Zukunftshoffnung?

Gegen diesen Sandstrahl der Vernichtung hilft nur der tägliche Neustart in den Wahnsinn. Monika wird mit der Zeit eine geschundene Heldin, zu der höchstens wir Leser helfen.

Gegen Ende tritt so etwas wie Klärung, Aufklärung oder aber auch Abklärung ein. Mit ihrem Gebrauchsmann Philipp fährt Maria noch einmal die Spuren zu ihrer Herkunft ab, um irgendwie zu verstehen, warum manche Menschen so entfernt von unserem Leben ihr Dasein fristen müssen. Das Wissen um die eigene Geschichte wird zum ersten Lichtblick.

Ludwig Laher fräst sich wie ein rasender Reporter durch den schwer zu bändigenden Stoff. Dabei bleibt er ein ausgewogener Ausleuchter der Verhältnisse. Die Figuren sind so angelegt, dass man zu allen helfen möchte, wiewohl sich diese Figuren oft gnadenlos bekriegen und beiseite räumen. Ludwig Lahers Roman ist eine andere Art europäischer Kulturgeschichte, er erzählt vom Rand der EU und der Mitte des Alltags.

Ludwig Laher, Und nehmen was kommt. Roman.
Innsbruck: Haymon 2007. 206 Seiten. EUR 22,50. ISBN 978-3-85218-530-9.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Ludwig Laher, Und nehmen was kommt
Homepage: Ludwig Laher

 

Helmuth Schönauer, 12-04-2007

Bibliographie

AutorIn

Ludwig Laher

Buchtitel

Und nehmen was kommt

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Haymon

Seitenzahl

206

Preis in EUR

22,50

ISBN

978-3-85218-530-9

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Laher, geb. 1955 in Linz, lebt in St. Pantaleon/OÖ.