Gianrico Carofiglio, In freiem Fall

Buch-CoverNiemand hört wirklich zu rauchen auf. – Mit diesem Satz ist das ganze Konzept dieser Welt erklärt, wir alle sind irgendwo abhängig und kommen niemals los davon.

Avvocato Guido Guerrieri wird mit diesem ersten Satz sofort sympathisch. Da probiert also wieder einmal jemand, von seiner Sucht los zu kommen, aber es wird ihm nicht gelingen.

Der Anwalt geht auch sonst seinem Verfall nach, wie er vor dem Spiegel entdeckt, die Falten nehmen sichtbar zu und die Anzüge von früher passen vielleicht nicht mehr ganz in das heutige Tagesgeschehen. Während wir den Rechtsanwalt auf verschiedenen Fällen begleiten, bahnt sich über seinem Kopf der große Fall zusammen, der ihn in freiem Fall zum Absturz bringen wird.

Eine Sozialarbeiterin aus dem Frauenhaus, die sich als Nonne mit geiler Lederjacke entpuppt, trägt die Bitte heran, eine ihrer Klientinnen zu verteidigen. Diese wird von einem Macho verfolgt und geschlagen. Hinter dem Brutalo steckt niemand geringerer als der Sohn des wichtigsten Richters, als ehemaliger Rechtsradikaler und koksender Arzt auf der Klinik, kann er sich ofensichtlich alles leisten. Die Stadt scheint nämlich nicht nur den Verbrechern zu gehören, auch die Justiz hat sich auf der anderen Seite des Fangnetzes recht gut eingerichtet. Dazwischen bleiben die bloße Überlebensangst und das Gefühl der Ohnmacht.

Guerrieri übernimmt spontan den Fall und kann sich erst allmählich ausmalen, in welche Schwierigkeiten er sich dabei gebracht hat. Denn er ist beileibe kein Held und versucht, einen unauffälligen Alltag hinzulegen. So erfahren wir beiläufig, wie man in Bari ausgeht, welche Lokale man besucht, und auf welche neuen Trends (auf tibetanisch-vietnamesische Tischmusik etwa) man sich in der Stadt gerade einlässt.

Als Leser zittert man fortan mit dem sympathischen Alltagsanwalt mit und stellt sich auf jeder Seite die Frage, ob es sich in einer durchstrukturierten undurchschaubaren Gesellschaft überhaupt für einen Einzelnen lohnt, zu kämpfen.

Denn dem Anwalt geht es nicht ums Geld, sondern um so etwas wie Lebenssinn. Vielleicht will er sich auch nur beweisen, dass er dadurch wirklich mit dem Rauchen aufhören und aus den Zwängen aussteigen kann.

Gianrico Carofiglio, In freiem Fall. Roman. A. d. Ital. von Claudia Schmitt. [Orig.: Ad occhi chiusi; Palermo 2003].
München: Goldmann 2007. 220 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-442-31133-0.

 

Weiterführende Links:
Goldmann-Verlag: Gianrico Carofiglio, In freiem Fall
Wikipedia: Gianrico Carofiglio

 

Helmuth Schönauer, 26-05-2007

Bibliographie

AutorIn

Gianrico Carofiglio

Buchtitel

In freiem Fall

Originaltitel

Ad occhi chiusi

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Goldmann

Übersetzung

Claudia Schmitt

Seitenzahl

220

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-442-31133-0

Kurzbiographie AutorIn

Gianrico Carofiglio, geb. 1961 in Bari, arbeitet in Bari als Anti-Mafia-Staatsanwalt.