Rolf Dobelli, Turbulenzen 777 bodenlose Gedanken
Perfekte Literatur kommt letztlich ohne Handlung aus. Im Gegenteil, sie streift jede irdische Beschwernis ab und geht in die Luft.
Rolf Dobelli legt den Rahmen seines Buches äußerst karg und ökonomisch an, dafür gibt es dichtestes Material in Form von Sentenzen, kleinen Aphorismen, halbwachen Gedankenpixeln.
Turbulenzen sind jener magische Zustand, in dem der Pilot den Befehl für das "Fasten Seatbelt" gibt und die Passagiere durchgeschüttelt werden. In Dobellis Turbulenzen steigt eine Er-Figur, die ähnlich knapp angelegt ist wie die "Er-Aphorismen" bei Franz Kafka, an dem einen Kontinent an Bord und geht am anderen Ende des Atlantiks wieder zu Boden und an Land.
Manchmal werden die Sätze zu realistischen Flug-Kommentaren, vielleicht freut sich der Flughafen, wenn der Passagier ankommt, wie das Luftpersonal steif während der Landung gerade ausschaut und das Klappsesselchen mit dünnem Diensthinterteil besetzt, wie sich alles auf der Welt auf die entscheidende Frage Huhn oder Fleisch zusammen fassen lässt.
Dann gibt es ganze Abschnitte, die mehr Stoff ausstoßen, als ihn ein Seminar über Wochen verströmen könnte. Die Realität muss die Vision nicht nur einholen sondern überholen, in Amerika sind Dinge wahr, wenn sie funktionieren, in Europa funktionieren Dinge, wenn sie wahr sind.
Aus der Bildung werden Hänschen-Sätze aufgegriffen und mit einem absurden Schwenk weiter entwickelt. Selbst wenn du übers Wasser gehst, geh deinen eigenen Weg. (121) Sein Roman ist nicht autobiographisch. Vielmehr ist sein Leben autoliterarisch. (122) Ich bin das Wasser, das leere Mühlen antreibt. (125)
Eine Zeitlang ist man als Leser von dieser geballten Literaturkonzentration so angetan, dass man beinahe jeden Satz für sich selbst irgendwohin notieren möchte. Aber das ist die große Botschaft Rolf Dobellis, du kommst aus diesen Gedankenturbulenzen nur heraus, wenn du bereit bist, wertvolle Gedanken zu vergessen und ans Nichts zu verschenken.
Rolf Dobelli leitet in der außerliterarischen Realität eine Firma, die nichts anderes tut, als aus gigantisch aufgeblasenen Werken sogenannte Abstracts zu destillieren. Diese Fähigkeit, aus jedem Trash einen kräftigen Sirup herauszupressen, ist natürlich ein großer Faktor, wenn es um das Verfassen markanter Literatursprüche geht. Während man abgehoben diese 777 bodenlosen Gedanken liest, verdickt sich das eigene Leben des Lesers zu einem heftigen Konzentrat, das man nach der Lektüre wieder mit heftigen Spülungen des Alltags zu einer erträglichen Konsistenz ausdünnen muss.
Lesen gleicht dadurch der Arbeit des Darms, durch Zusammenziehen und Loslassen werden die Gedanken ans Ende geschoben und lösen sich in Wohlgefallen auf. Eine superrealistische Sache!
Rolf Dobelli, Turbulenzen 777 bodenlose Gedanken
Zürich: Diogenes 2007. 159 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-257-06694-7.
Weiterführende Links:
Wikipedia: Rolf Dobelli
Diogenes-Verlag: Rolf Dobelli, Turbulenzen