Luksan/Schlösser/Szanya (Hrsg.) , Heilige Scheine

Buch-CoverWas hat ein Kapuzinerpater aus der Zeit der Türkenkriege mit dem Errichter des österreichischen Ständestaates zu tun und in welchem Zusammenhang steht damit seine Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II im April 2003?

Ausgehend von dieser Konstellation, die eines Kriminalromans würdig wäre, setzen die Autoren verschiedene Bilder unterschiedlicher Epochen wie ein Puzzle zusammen und werfen einen "unangenehm kritischen" Blick auf die politischen Umwälzungen in Österreich am Ende der 1. Republik.

Unangenehm ist der Blick vor allem deshalb, weil der Blick auf den Ständestaat bis heute noch Spannungen zwischen den beiden großen Parteien des Landes auszulösen vermag.

Vor 75 Jahren nahm die 1. österreichische Republik ihr unrühmliches Ende, um einem autoritär geführten Ständestaat Platz zu machen. Engelbert Dollfuß, der Führer des Ständestaates galt zeitlebens als großer Verehrer des Kapuzinerpaters Marco dAviano, eines klerikalen Eiferers aus der Zeit der Türkenkriege. Mit der Seligsprechung Marco dAvianos im April 2003 durch Papst Johannes Paul II schließt sich der historische Kreis mit der Gegenwart und bietet ein Bild "österreichischer Propaganda vom Barock bis zum heutigen Tag".

Ein interessanter Aspekt den das Buch u.a. behandelt, ist das Verhältnis zwischen Staat und Kirche im Laufe der Geschichte, vor allem in der Auseinandersetzung um den Einfluss der Kirche im Bereich der Ehe und Schulbildung in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Autoren zeigen auf, wie der Einfluss der Kirche im gesellschaftlichen Bereich, der in der k.u.k. Monarchie zurückgedrängt worden war, im Ständestaat, der sich an der päpstlichen Sozialenzyklika "Qudargesimo Anno" ausgerichtet hatte, systematisch wieder erneuert wurde. Der Ständestaat, der von Beginn an nur bedingte Unterstützung in der Bevölkerung finden konnte, benötigte die Katholische Kirche als moralische Legitimation und war bereits dafür seinen Preis zu zahlen.

Die Seligsprechung des katholisch-klerikalen Eiferers Marco dAviano durch Papst Johannes Paul II. im Jahr 2003 deuten die Autoren einerseits als eine späte Ehrung des österreichischen Ständestaates und seines Führers Engelbert Dollfuß, der als einer der größten Verehrer dAvianos galt. Andererseits sehen sie in der Seligsprechung dAvianos auch ein politisches Zeichen für Europa, gilt doch der Kapuzinerpater bis heute als Symbol für die Verteidigung des christlichen Abendlandes und die Identität eines christlichen Europas.

Den Autoren gelingt es auf spannende Weise eine auf den ersten Blick unscheinbare Seligsprechung eines Kapuzinerpaters aus der Zeit der Türkenkriege in ein größeres historisches Umfeld zu stellen, um die sich dahinter herauskristallisierende Ideologie sichtbar zu machen. So spannend kann Geschichte sein.

Martin Luksan / Hermann Schlösser / Anton Szanya (Hg.), Heilige Scheine. Marco dAviano, Engelbert Dollfuß und der österreichische Katholizismus, mit zahlr. Abb.
Wien: Pro-Media Verlag 2007, 176 Seiten, 17,90 EUR, ISBN 978-3-85371-275-7

Vgl. dazu auch:
>> ANNO März 1933: Eine Nachlese in Österreichs Zeitungen

 

Weiterführende Links:
Pro-Media-Verlag: Luksan – Schlösser – Szanya, Heilige Scheine
Wikipedia: Marco d'Aviano

 

Andreas Markt-Huter, 28-04-2008

Bibliographie

AutorIn

Martin Luksan / Hermann Schlösser / Anton Szanya

Buchtitel

Heilige Scheine. Marco dAviano, Engelbert Dollfuß und der österreichische Katholizismus

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2007

Verlag

Pro-Media Verlag

Herausgeber

Martin Luksan / Hermann Schlösser / Anton Szanya

Seitenzahl

176

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-85371-275-7

Kurzbiographie AutorIn

Martin Luksan, Jahrgang 1947, ist Publizist und Dokumentarfilmer, Bundesobmann des österreichischen Freidenkerbundes.

Hermann Schlösser, Jahrgang 1953, ist Redakteur der Wiener Zeitung.

Anton Szanya, Jahrgang 1945, arbeitet als bekannter Volksbildner in den österreichischen Volkshochschulen und Buchautor.