Rainer Juriatti, 47 Minuten & 11 Sekunden im Leben der Marie Bender
Sekundengenaue Zeitangaben deuten oft auf einen Countdown hin, der mit einer Null als Höhepunkt endet.
Im Leben der Marie Bender handelt es sich um die letzte dreiviertel Stunde vor dem Tod, der mit der Sequenz 0 Minuten 0 Sekunden eintritt. "Schlaff liegt mein Körper. [...] Ich atme aus und höre mich." (146)
Marie Bender hat es nicht leicht mit sich und liegt den Eltern sorgenschwer auf der Seele. Als Sechzehnjährige haut sie von zu Hause ab, bleibt ein paar Tage verschollen und taucht dann schwanger und drogenabhängig wieder auf. In der Folge versuchen die Eltern Kontakt mit Marie herzustellen, aber diese bleibt unzugänglich und kümmert sich nur sporadisch um ihren kleinen Sohn.
Während ihr Bruder in Innsbruck das Studium abschließt, kommt zu Hause keine rechte Freude auf. Die Fürsorge versucht zu vermitteln, irgendwann kommt das kleine Kind zu den Großeltern und Marie geht zugrunde in einem trostlosen Ambiente von Prostitution, Drogen und kaputten Beziehungen.
Im Roman rennt der Countdown für Marie unbarmherzig der Null zu, während der Sozialarbeiter und die Eltern versuchen, diese Uhr zu stoppen. Eingeflochten sind diverse Briefe an Marie, an das Sozialamt und diverse Behörden, aber die Briefe treffen niemals auf das Gegenüber. So sind letztlich Behörden und Marie gleich weit von den Eltern entfernt.
Der hilflose Stil allenthalben wird nur noch von der Wahrnehmung Maries übertroffen, die ihrem Ende entgegen dämmert. Ein tropfender Wasserhahn, Glucksen im Spülicht, Fliegen, die in die Stille der Wahrnehmung ihre Eier hineinlegen.
Rainer Juriatti protokolliert in diesem Roman ein Schicksal, das in unserer Gesellschaft immer wieder am Rande der öffentlichen Wahrnehmung vorkommt. Die Abnabelung vom Elternhaus misslingt, und in den zerfetzten Seilen der Beziehung hängen die Kids dann kaputt herum wie zusammengeschlagene Boxer. Die Wortlosigkeit ist penetrant und kaum erträglich.
Die Figuren in diesem Roman tun letztlich alle ihr Bestes, niemals geht es um moralische Vorwürfe, aber die Schräglage der Situation ist konsequent, und so rollen die Figuren nach unten ihrem Ende zu.
In diesem Roman gibt es nichts zu lachen, man kann sich als Leser höchstens daran aufrichten, dass es auch in der vertracktesten Situation noch Profis gibt, die dem ganzen wenigstens eine Beschreibung zukommen lassen.
Rainer Juriatti, 47 Minuten & 11 Sekunden im Leben der Marie Bender. Roman.
Salzburg: Otto Müller Verlag 2008. 154 Seiten. EUR 17,-. ISBN 978-3-7013-1140-8.
Weiterführende Links:
Otto Müller Verlag: Rainer Juriatti, 47 Minuten & 11 Sekunden im Leben der Marie Bender
Wikipedia: Rainer Juriatti