Günther Loewit, Mürrig

Buch-CoverNomen est Omen. Wenn der Held einmal Mürrig heißt, ist vermutlich kein glatter Lebenslauf zu erwarten, zumal die Karriere mit dem Ende beginnt: Karl Georg Mürrig wird im Garten der Psychiatrie tot aufgefunden.

Günther Loewit erzählt in Gestalt eines "Welt-Romans" von der Unmöglichkeit, ein einmal in Schräglage gerutschtes Leben wieder gerade zu biegen.

Zu diesem Zwecke werden jedem Kapitel in fetter Schrift markante Ereignisse aus der Zeitgeschichte vorangestellt, anschließend wird erzählt, wie sich ein negativer Held allmählich in den Untergang entwickelt, und in Kursivschrift schreibt dieser Kerl dann auch noch ununterbrochen und gibt seine verletzte Seele frei.

Nelson Mandela organisiert 1957 den friedlichen Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika, Karl Georg Mürrig bereitet seiner Mutter eine schwere Geburt. Was vorläufig wie das unsinnige Zusammentreffen zweier Ereignisse ausschaut, erfährt allmählich seinen höheren Sinn. Mürrig leidet nämlich ein Leben lang daran, dass er ein Produkt der Weltgeschichte ist, und wenn in der großen Welt etwas passiert, wirft es ihn in seiner kleinen Menschenschale völlig aus der Bahn.

Dabei ist es logisch, dass Mürrig zu Grunde gehen muss. Sein Vater, ein beinharter Arzt und ehemaliger SS-Mann, plant von der Zeugung über das Wirtschaftsgeld und die Tageslosungen so ziemlich alles. Gewalt ist an der Tagesordnung, das Kind Karl Georg wird gewatscht, bis es blutig ist.

Mürrig entwickelt gegen diesen Terror den Husten, Tag und Nacht keucht er in sich hinein, bis er genügend Hustensaft kriegt, und bald einmal hustet er wegen des Hustensaftes, der ihn süchtig macht. Das einschneidende Erlebnis spielt sich auf der Weltbühne ab. Der Vietcong besiegt die USA und Mürrig hilft ab jetzt immer zu den scheinbar Schwächeren, um sich am allmächtigen Vater zu rächen.

Freilich hat diese Verknüpfung mit der Weltgeschichte den Nachteil, dass alle Ereignisse zu nahe gehen. Mürrig wird Klassensprecher, studiert ein bisschen Medizin, die Eltern kommen bei einem Autounfall ums Leben, Mürrig heiratet eine südtiroler Bergbauerntochter, die gemeinsame Tochter hustet wie seinerzeit der Vater, das Studium geht futsch, die Ehe geht den Bach hinunter, nach ein paar Affären bleibt nur mehr die Psychiatrie.

Verknüpft sind diese biographischen Meilensteine immer mit Ereignissen wie Mondlandung, Tschernobyl, Ruanda, Libanonkrieg oder Putsch auf der Krim. Im September 2001 fällt das World Trade Center zusammen und Mürrig stirbt im Garten der Psychiatrie.

Günther Loewit hat einen rasenden Entwicklungsroman geschrieben, die biographischen Entwicklungsstufen des kaputten Helden laufen logisch wie in einem Lehrbuch ab. Gleichzeitig entwickelt die Weltgeschichte einen Trend, der offensichtlich deutlich nach unten führt. Während wir Leser oft über große Themen in der Zeitung stolpern, verrecken neben uns die Alltagshelden.

Günther Loewit, im Hauptberuf Arzt, hat eine berührende und ernüchternde Diagnose gestellt. Und Schübe von Mürrig überfallen jeden von uns, manche täglich, manche ein wenig seltener. - Schon lange nicht mehr ist der Zusammenhang zwischen großer Geschichte und persönlicher Auswirkung so klar beschrieben worden, wie in diesem Roman.

Günther Loewit, Mürrig. Roman.
Innsbruck: Skarabaeus 2008. 296 Seiten. EUR 24,90. ISBN 3-7082-3245-4.

 

Weiterführende Links:
Skarabäus-Verlag: Günther Loewit, Mürrig
Homepage: Günther Loewit

 

Helmuth Schönauer, 25-09-2008

Bibliographie

AutorIn

Günther Loewit

Buchtitel

Mürrig

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Skarabaeus

Seitenzahl

296

Preis in EUR

24,90

ISBN

3-7082-3245-4

Kurzbiographie AutorIn

Günther Loewit, geb. 1958 in Innsbruck, lebt als Arzt und Schriftsteller in Marchegg.