Fritz Widhalm, Die Nacht schluckte die Dämmerung

Buch-CoverOft sind es die selbstverständlichsten Sätze, die schnurstracks in das Herz des Lesers zischen und dort fiktionale Wohlbefindlichkeit erzeugen.

Fritz Widhalms Bio-Roman über die höchst realistische Kunstfigur Konrad Berger ist voll gepflastert mit herzergreifenden Wahrheitssätzen nach dem Muster: "Die Nacht schluckte die Dämmerung".

In einem Startgespräch diskutieren der Autor und die Kunstfigur über den Zweck und den Inhalt des Buches, das Gespräch dient einerseits als dynamischer Klappentext, andererseits als Folie für diverse Subventionsansuchen. Und auch ein Rezensent, der das Gespräch abtippt, hat schon die erste brauchbare Rezension.

Der Roman selbst besteht aus drei Teilen, einem Erlebnisbericht Hört-hört, einer Sammlung von Kurz-Oden und einer Mappe mit Entwürfen.

"Hört-hört" erzählt vom Leben des polymorph-perversen ehemaligen Holzknechts Konrad Berger, er sich sexuell täglich neu aufstellt und seine Alltagswelt um diese Grundstellung herum drapiert. Ziel seiner Sehnsüchte und Lüste ist die Lokomotivführerin Berta Wieland aus Baiersbrunn, deren Fahrstil beinahe alle Fahrgäste von den Plätzen reißt. Ihre einzige Bedingung für eine Zuneigung: "Kein Sex während des Aufenthaltes in den Bahnhöfen." (63) Das Berufs- und Sexualleben des ehemaligen Holzfällers wird auf jeder Seite durch einen Minidialog der Eltern kommentiert.

Heute hat Konrad seinen einundfünfzigsten Geburtstag, sagt die Bergermutter. - Schade, dass ich das nicht mehr erleben durfte, sagt der Bergervater. (63)

Die Lokführerin hat in ihrer Freizeit Oden an Konrad und eine poetische Hommage geschrieben. Diese wundersamen anarchistischen Texte bilden den Mittelteil des Konrad-Zyklus. Mit dem weit ausholenden Duktus einer staatstragenden Melodie werden so seltsame Motive wie eine Hand, der Körper, Juckreiz oder Bratäpfel besungen.

Pissen und graben / pissen und graben / Kaum blickt man auf (71)

Oh ewige Hundekacke nennt sich der dritte Teil, worin es eine Analyse des Human Boogie gibt sowie Texte über die Schwierigkeit, ein subtiler Fan zu sein. Bei dieser Gelegenheit wird auch gleich der vorliegende Text analysiert.

Eine Nebenfigur schildert, warum sie sich in "Die Nacht schluckte" die Dämmerung so spärlich zu Wort meldet; dazu sagt sie augenzwinkernd: Ist ja auch schwierig, ich bin viel zu sehr mit dem Leben beschäftigt. Als wäre das nicht genug. Kommentare schreiben meist Leute, die kein Leben haben. (128)

Fritz Widhalm zerlegt mit seinem Konrad-Konvolut die gängigen Muster der Literatur. Biographien werden dekonstruiert und als Comics neu inszeniert. Berufe werden heroisch dargestellt wie mythologisch diffuse Halbgötter, Sex wird zu einem verlässlichen Kumpel, der schon mal dem Körper die Hand gibt und bei Bedarf auch mehr, Interviews kreisen verlässlich um Zauberformeln mit Nullaussage herum, die literarische Rezeption verhöhnt sich von selbst und zwingt den Leser mit charmanter Ironie, es vielleicht zwischen den Zeilen zu versuchen, wenn es auf den Zeilen nicht ganz klar zugeht. Ein wunderbarer Text, bei dem man den Titel spontan abwandeln möchte zu "Der Text schluckte den Leser."

Fritz Widhalm, Die Nacht schluckte die Dämmerung. Oder: Hört hört, mein Mund bleibt stehen.
Wien: edition zzoo 2008. 129 Seiten. EUR 10,50. ISBN 978-3-902190-21-5.

 

Weiterführende Links:
Edition Zzoo
Wikipedia: Fritz Widhalm

 

Helmuth Schönauer, 03-02-2009

Bibliographie

AutorIn

Fritz Widhalm

Buchtitel

Die Nacht schluckte die Dämmerung. Oder: Hört hört, mein Mund bleibt stehen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

edition zzoo

Seitenzahl

129

Preis in EUR

10,50

ISBN

978-3-902190-21-5

Kurzbiographie AutorIn

Fritz Widhalm, geb. 1956 in Gaisberg, lebt in Wien.